Vegan bei der Bundeswehr? "Es fehlt der Handlungsdruck!" [Interview]
Vegan bei der Bundeswehr - geht das überhaupt? Wir haben einmal direkt bei zwei Soldaten der Bundeswehr angefragt. Hier das Interview mit den Stabsoffizieren Patrick und Martin.
Vegpool: Wer seid ihr / was ist eure Tätigkeit bei der Bundeswehr? Was macht ihr konkret?
Patrick: Ich bin Marineoffizier mit dem Dienstgrad Korvettenkapitän. Nach meinem Eintritt in die Bundeswehr habe ich unter anderem an der Helmut-Schmidt-Universität studiert und diverse Aus- und Weiterbildungen absolviert. Das hat mich auf meine bisherigen Aufgaben bei der Deutschen Marine vorbereitet. In den zurückliegenden Dienstjahren bin ich dabei u.a. als Wachoffizier und Verantwortlicher für den Gefechtsdienst auf Schiffen der Marine zur See gefahren.
Martin: Ich bin Stabsoffizier des Bereichs Operative Kommunikation im Dienstgrad Oberstleutnant. Im Rahmen meiner Laufbahn habe ich Politikwissenschaften an der Helmut-Schmidt-Universität studiert, war Redakteuroffizier eines Einsatzkameratrupps, Adjutant und zuletzt Kompaniechef.
Patrick: Aktuell nehmen wir am zweijährigen Lehrgang Generalstabs- und Admiralstabsdienst National, kurz LGAN, an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg teil. Dort haben Martin und ich uns auch kennengelernt.
Vegpool: Im Gegensatz zum israelischen Militär bietet die Bundeswehr bisher keine vegane Vollverpflegung an. Wovon ernährt ihr euch denn typischerweise im Alltag?
Patrick: Tatsächlich ist eine vegane Verpflegung von Soldatinnen und Soldaten derzeit grundsätzlich flächendeckend noch nicht vorgesehen. Wir sind jedoch optimistisch, dass die verantwortlichen Stellen die Zeichen der Zeit erkennen und sich hieran etwas ändern wird. Bis dahin verzehre ich meist Mahlzeiten, die ich zu Hause vorbereitete.
Martin: Die Bundeswehr bietet in ihren Truppenküchen sogenannte Komponentenverpflegung an. Das heißt, man kann sich das eigene Essen in der Regel variabel zusammenstellen. Die Vorschriften sehen jedoch höchstens vegetarische Mahlzeiten vor. So bleibt Soldat*innen, die sich vegan ernähren, tatsächlich nur die Option, sich selbst zu versorgen. Bei mir ist das in der Regel eine Kombination aus Shakes, Wraps, Obst und allem, was sich gut mit zum Dienst nehmen lässt.
Vegpool: Kommt es vor, dass ihr Tierprodukte essen müsst, weil nichts anderes verfügbar ist? Wie geht ihr damit um?
Martin: Auf Übungen, längeren Dienstreisen und natürlich im Einsatz kann es durchaus problematisch werden, sich ausgewogen zu versorgen. Das führt jedoch nicht dazu, dass ich auf Verpflegung tierischen Ursprungs zurückzugreifen würde.
Patrick: Während meines Dienstes auf Schiffen konnte ich mich nur überwiegend, aber nicht ausschließlich vegan ernähren. Zwar berücksichtigte die Kombüse, so nennt man die Küche an Bord, diverse individuelle Wünsche, aber nur im Rahmen des räumlich und regulatorisch Möglichen. Für mich war das seinerzeit akzeptabel, da ich für mich Tierleid, soweit wie eben praktisch durchführbar, vermieden hatte.
Vegpool: In welchen Bereichen der Bundeswehr ist es am leichtesten, vegan zu leben? Und wo am schwersten?
Martin: Schwer haben es momentan ganz besonders jene Kamerad*innen, die sich nicht regelmäßig auf externe Einkaufsmöglichkeiten und im besten Fall auf eine eigene Küche verlassen können. Gerade im Einsatz, auf Übungen und auf See kann es hier schnell herausfordernd werden. Deutlich einfacher gestaltet sich der vegane Alltag natürlich für Soldat*innen, die ihren Dienst heimatnah versehen können oder eine Wohnung unmittelbar am Standort haben.
Patrick: Pauschal würde ich sagen, dass sich eine Tätigkeit bei der Bundeswehr derzeit noch am ehesten mit veganer Lebensweise vereinbaren lässt, je orts- bzw. heimatgebundener sie im Alltag ist, da das bspw. die Abhängigkeit von durch die Bundeswehr bereitgestellter Verpflegung verringert. Allerdings gehört für die Mehrzahl der militärischen Tätigkeiten die wiederkehrende Abwesenheit von zu Hause zum Berufsbild. Das kann sich von Tagen bis zu Monaten erstrecken. Zum einen hilft dabei das eigenverantwortliche Mitführen von Proviant, zum anderen ist es sinnvoll, das frühzeitige Gespräch mit Verantwortlichen bzw. Vorgesetzten zu suchen, um die Möglichkeiten veganer Verpflegung auszuloten.
Vegpool: Ihr seid beide erst vegan geworden, als ihr schon bei der Bundeswehr wart. Wie seid ihr auf das Thema aufmerksam geworden? Was sind eure Motive?
Martin: Ich erinnere mich, vor einigen Jahren einen Beitrag zum Thema Küken-Schreddern gesehen zu haben. Der Fakt, dass wir Lebewesen wegen ihrer Unwirtschaftlichkeit am ersten Tag ihrer durch uns verursachten Existenz massenhaft und industriell organisiert töten, hat bei mir erheblich nachgewirkt. Viele Dokumentationen und einiges an Literatur später stand dann mein Entschluss, mich an diesem System nicht mehr beteiligen zu wollen. Im Kern ist meine Überzeugung also ethischer Natur.
Befasst man sich jedoch intensiv mit dem Thema pflanzenbasierter Ernährung, kommt man kaum umhin, neben vermiedenem Tierleid auch die Vielzahl weiterer Vorteile zu erkennen. Klima, Umwelt, Biodiversität, Gesundheit und soziale Gerechtigkeit sind hier wichtige Stichworte.
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Patrick: Im Jahr 2017 bin ich eher zufällig auf eine allseits bekannte Dokumentation zum Thema Nutztierhaltung gestoßen. Das hat mich tief bewegt zurückgelassen und einen Umdenkprozess angestoßen, der bis heute nachwirkt. Zuvorderst waren es also ethische Beweggründe, die mich zum Thema haben kommen lassen. Die Erkenntnis, dass Nutztierhaltung auch ein erhebliches Problem für unser Klima ist, folgte dem nach.
Vegpool: Habt ihr nach der Vegan-Umstellung irgendwelche Veränderungen gespürt?
Martin: Ich ernähre mich seit fast sechs Jahren vegan und kann festhalten, dass es mir rundum gut geht. Gefühlt hat sich meine Regenerationszeit nach anstrengenden Sporteinheiten verkürzt. Davon abgesehen, erkenne ich keine Veränderungen.
Patrick: Mit dem Verzicht auf den Konsum tierischer Produkte erwuchs bei mir die Achtsamkeit für Ernährung, aber auch für Gesundheit im Allgemeinen. Ich bin froh darüber, mich heute stärker mit dem, was ich esse, auseinanderzusetzen und habe wieder gelernt Lebensmittel mehr als jemals zuvor wertzuschätzen.
Vegpool: Wie waren die Reaktionen in eurem Umfeld darauf, dass ihr vegan lebt? Wie geht ihr mit Sprüchen und Vorurteilen um?
Martin: Meine Kamerad*innen zeigen durchaus Interesse an meinen Beweggründen. In diversen Gesprächen höre ich heraus, wie intensiv sich viele von ihnen selbst mit dem Thema Ernährung beschäftigen. Die eine oder andere Spitze bleibt damit aber trotzdem nicht aus. Familie und Freunde haben meine Entscheidung durchaus ambivalent aufgenommen. Hier gab und gibt es Bedenken, die ich in Gesprächen auszuräumen versuche. Gleichzeitig aber auch einige, die sich ob meiner Anregung intensiv mit ihrer Ernährung auseinandersetzen und mittlerweile ebenfalls vegan leben.
Patrick: Im familiären Umfeld erntet speziell die vegane Ernährung noch regelmäßig Verwunderung. Das mündet allerdings niemals in despektierlichen Auseinandersetzungen, sondern in liebenswürdigen Neckereien. Mein Freundeskreis ist zwar aufgeschlossen, die vegane Lebensweise thematisieren wir allerdings kaum.
Interessanterweise hatte ich die häufigsten Gedankenaustausche mit Kameradinnen und Kameraden in der Bundeswehr, die sich nach meinen Motiven erkundigten - und natürlich sogleich nicht selten auch Position bezogen. Im Kreise der Offizierinnen und Offiziere wird meine Auffassung zwar überwiegend nicht geteilt, sie wird aber geachtet. Dabei hilft sicher, dass die Menschen in der Bundeswehr heute eben vielfältiger denn je sind.
Vegpool: Aus praktischer Sicht hätten vegane Optionen ja viele offensichtliche Vorteile. Sie wären gesünder, klimafreundlicher und würden gleichzeitig Menschen versorgen, die auf tierische Allergene reagieren oder kosher bzw. halal essen möchten. Und natürlich können auch Omnis und Veggies gut vegan essen. Woran liegt es, dass sich diese Erkenntnis in der Bundeswehr noch nicht durchgesetzt hat? Ideologie oder praktische Gründe?
Martin: Kulinarische Vorlieben, Zubereitungsformen und was wir überhaupt als Lebensmittel wahrnehmen, unterschiedet sich global und regional betrachtet erheblich, weil es kulturell überlieferte Praxis ist. Essen hat viel mit Tradition, Identität und natürlich auch mit Religion zu tun. Besondere Aufmerksamkeit schenken diesem Thema daher ganz besonders jene Streitkräfte, die sich aus Soldat*innen verschiedenster kultureller Hintergründe zusammensetzen, wie z.B. die britische und die israelische Armee.
Ich denke, für die Bundeswehr fehlte bisher schlicht der Handlungsdruck. Da jedoch die Zahlen vegan lebender Menschen und jener, die sich klima- und gesundheitsförderlich ernähren möchten, auch in Deutschland steigen, werden sich unsere Streitkräfte darauf einlassen müssen. Tun wir das nicht, verschenken wir künftig erhebliches Potential, gerade innerhalb der hinsichtlich dieses Themas besonders sensitiven jüngeren Generation.
Patrick: Ich glaube nicht, dass sich die Bundeswehr und ihr Umgang mit wandelnden Ernährungsformen im Kern von anderen staatlichen Organen bzw. Institutionen oder auch anderen zivilen Arbeitgebern unterscheidet. Allerdings müssen anderenorts nicht täglich hunderttausende Angehörige voll verpflegt werden - und das nicht nur in den ortsfesten Kasernen, sondern auch im Ausland, im Einsatz, auf Truppenübungsplätzen, in der Luft und auf hoher See. Die Einführung geht da logischerweise nicht über Nacht.
Häufig wird veganen Optionen aufgrund dieser Bandbreite soldatischen Wirkens eine geringe Praktikabilität unterstellt. Meiner Bewertung nach ist genau das Gegenteil der Fall. Man stelle sich vor, eine Gruppe Bundeswehrangehöriger ist fernab jeder Feldküche oder Kantine im Einsatz und verpflegt sich mit Verpflegungspaketen, sogenannten Einpersonenpackungen. Wären diese Rationen vegan, könnten sie von allen Soldatinnen und Soldaten, unabhängig ihrer Religionszugehörigkeit oder Weltanschauung, ja sogar von Omnivoren, überwiegend problemlos verzehrt werden. Vegane Ernährung ist demnach sehr praktikabel, eine echte Goldrandlösung, wie man mitunter bei der Bundeswehr sagen würde.
Vegpool: Habt ihr konkrete Vorschläge, wie die BW veganfreundlicher werden könnte?
Martin: Die Bundeswehr muss das Rad nicht neu erfinden. Ein Blick in die Vorschriften und die Praxis der britischen und israelischen Streitkräfte kann ein Anfang sein. Diese Armeen haben Erfahrungen mit der Einführung veganer Verpflegung, Einsatzrationen und in Teilen auch mit der Einführung leder- und wollfreier Ausrüstung gesammelt, die wir uns zunutze machen können.
Vegpool: Wenn eine vegane Lebensweise als Weltanschauung rechtlich geschützt wäre (ähnlich wie eine Religion) - hättet ihr dann Anspruch auf vegane Verköstigung? Strebt ihr das an?
Martin: Das Verwaltungsgericht Münster hat diesen Zusammenhang bereits bestätigt. Es hat in meinem Fall unterstrichen, dass eine ethisch begründete vegane Lebensweise durchaus in den Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 GG fallen kann. Leider leitet sich aus dieser Feststellung kein unmittelbarer Anspruch auf entsprechende Verpflegung ab. Deutlich wird jedoch, dass es nicht mehr genügen wird, Veganismus als Ernährungstrend abzutun.
Auch wenn abzuwarten bleibt, wie sich die Bundeswehr künftig zu diesem Thema verhält, ist bei der Wehrbeauftragten und im Verteidigungsministerium mittlerweile Interesse an den Anliegen vegan lebender Soldat*innen zu erkennen. Wir bleiben dran.
Vegpool: Gibt es innerhalb der Bundeswehr Netzwerke für vegan lebende Menschen um sich auszutauschen und zu unterstützen? Welche sind das? Wie kommt man da rein?
Patrick: Vegan lebende Soldatinnen und Soldaten sind derzeit in der Bundeswehr nur sehr lose vernetzt. Allerdings gibt es seit Jahren eine kleine Gruppe auf WhatsApp, sowie, seit dessen Einführung, innerhalb des bundeswehreigenen Instant-Messaging-Dienstes („Vegan beim Bund“, BwMessenger). Unregelmäßig wird sich darin zu themenbezogenen Problemstellungen und Neuigkeiten ausgetauscht. Letztgenannte Gruppe ist bspw. über die Suchfunktion des Dienstes zu finden.
In anderen Ländern, wie bspw. Großbritannien, sind die Streitkräfteangehörigen da etwas weiter. Im Jahr 2021 wurde dort das „MOD Vegan & Vegetarian Network“ gegründet, das als eine Art Interessenvertretung den Dialog mit den verantwortlichen Stellen führt. Für Deutschland könnte ich mir etwas Vergleichbares vorstellen, zumindest bis die vegane Lebensweise flächendeckend in der Bundeswehr angekommen ist.
Das Interview wurde schriftlich geführt.
Veröffentlichung:
Autor: Kilian Dreißig