Mythos "Grünland-Veredelung": Milchkühe verhungern ohne Kraftfutter!
Gut gelaunte Kühe in saftigem Gras. Dahinter ein prächtiges Alpenpanorama. Solche Bilder liebt die Milchindustrie!
Marketing-Verantwortliche in den Molkereien schwärmen gerne von "Kreisläufen", in denen Kühe Gras zu Nahrungsmitteln umwandeln und es so für Menschen nutzbar machen.
Doch diese Geschichte ist nicht vollständig. Ihr fehlt der Teil, dass moderne Milchrassen auf Kraftfutter angewiesen sind (Soja, Mais, ...). Sie würden sonst verhungern.
Dieser Fakt hat uns so erschreckt, dass wir ihn genauer untersuchen mussten. Er widerlegt die idyllische Vorstellung von den "Grünland-Verwertern" vollständig.
Damit eine Kuh Milch gibt, muss sie ein Kalb zur Welt bringen. Dann beginnt der Milchfluss, die sogenannte Laktationsphase.
Und jetzt beginnt das Problem...
Moderne Milchkuh-Rassen produzieren 20x so viel Milch wie früher
Auerochsen, die weit entfernten Vorfahren moderner Milchkühe, bildeten nach der Geburt ihres Kalbes ca. 1,4 Liter Milch am Tag, das entspricht ca. 500 Litern im Jahr. [1] Genauso viel, wie ihr Kalb benötigte.
Moderne, hochgezüchtete Milchkuh-Rassen produzieren über das Jahr hinweg durchschnittlich 27 Liter Milch am Tag. [2]
Für diese Mengen an Milch reicht es nicht mehr aus, den Kühen nur Raufutter aus Gras oder Heu zu geben. Es hat ein zu großes Volumen und liefert dabei zu wenig Energie. Die Kühe könnten es nicht schnell genug fressen.
"Es ist genetisch in der Kuh veranlagt, dass der Milchproduktion immer Vorrang eingeräumt wird, auch wenn dies auf Kosten ihrer eigenen Energie und Gesundheit geht. Wenn die durch die Ration bereitgestellte Energie nicht ausreicht, kompensiert die Kuh das durch ihre Körperreserven."
Futtermittelhersteller PAHC, Stand: 7.10.2023 [3]
Die Kühe sind wegen ihrer Züchtung abhängig von energiereichem Kraftfutter aus Ackerbau. Häufig kommen Soja und Mais zum Einsatz.
Genauso wie die Auerochsen sind auch heutige Rinder als Wiederkäuer eigentlich reine Grasfresser. Dafür sind ihre vier Mägen ausgelegt.
Doch Gras und Heu würden nicht ausreichen, um den immensen Energiebedarf in der Laktation zu decken.
Noch mal: Würden Milchkühe innerhalb der Laktationsphase ausschließlich Heu und Gras zu fressen bekommen, würden sie verhungern, weil sie es nicht schnell genug zu Energie umwandeln könnten.
In modernen Milchbetrieben - auch in Bio-Betrieben! - erhalten Rinder ungefähr die Hälfte ihrer Futterenergie aus Kraftfutter, z. B. aus Mais oder Soja. Manchmal sogar noch mehr!
Allerdings gibt es ein Limit nach oben, denn Kraftfutter kann zu einer Übersäuerung der Mägen führen. Auch deshalb ist Kuhmilch kein natürliches Lebensmittel mehr. Das Futter ist "artfremd".
Jungrinder auf der Alm
Die Rinder, die man im Sommerurlaub auf den Alpenwiesen weiden sieht, sind in der Regel Jungrinder, die noch keine Milch produzieren und daher viel weniger Energie benötigen. Sie kommen auf den Almwiesen gut zurecht.
Kühe in der Laktationsphase findet man allenfalls in mittleren Berglagen, die mit dem LKW erreichbar sind. Nur so lassen sich die benötigten Futtermittel antransportieren - und die Milch in Tanks ins Tal liefern.
Und was ist mit "Heumilch"?
Der Begriff "Heumilch" bezieht sich darauf, dass keine Gras-Silage gefüttert wird. Diese kann den Geschmack der Milch beeinflussen. Der Raufutter-Anteil besteht hier also nur aus Gras und Heu, jedoch nicht aus Gras-Silage.
Allerdings füttern auch "Heumilch"-Betriebe ihren Milchkühen Kraftfutter. [5][6] Ohne Kraftfutter würden die Hochleistungsrassen innerhalb der Laktation verhungern.
Der geschützte Begriff der "Heumilch" steht wegen des Vorwurfs der Verbrauchertäuschung in der Kritik. Verbraucher könnten davon ausgehen, dass Rinder ausschließlich Heu erhielten, und eben kein Kraftfutter. Ähnliches gilt auch für "Weidemilch". Mehr über die Hintergründe erfahren.
Geht es theoretisch auch nur mit Gras?
Grund für die Abhängigkeit von Kraftfutter ist die Züchtung auf hohe Milchleistung. Die dafür benötigte Energie können die Rinder nicht allein aus Gras aufnehmen.
Schon heute beklagen sich Milchbauern über zu niedrige Preise - und das, obwohl moderne Milchrassen ja bereits das 20-Fache an Milch erzeugen, verglichen mit den Auerochsen. Die Nutzung uralter Rassen, die 1,4 Liter Milch am Tag bilden, wäre nicht wirtschaftlich.
Bilder von Kühen auf der Weide können davon ablenken, dass die meisten Kühe in Deutschland gar keinen Weidegang haben. In Bayern und Ostdeutschland können weniger als 20% der Rinder auf die Weide! [7] Die im Titelbild gezeigten Kühe sind daher nicht repräsentativ!
Quellen
- http://www.kuh-projekt.de/Kuehe/milch.php
- https://www.landwirtschaft.de/land[...]ilch-gibt-eine-kuh-am-tag
- Futtermittelhersteller PAHC, https://europe.pahc.com/de/herausforderungen/ketose
- https://www.mdr.de/ratg[...]milch-alpenmilch-100.html
- https://www.heumilch.com/wp-c[...]ten-der-Heufuetterung.pdf
- https://www.heumilch.com/fuer[...]ilchbauern/heufuetterung/
- Flyer "So leben Milchkühe", BLE, 2022, https://www.ble-medienservice.de/0457-3-so-leben-milchkuehe.html
Veröffentlichung:
Autor: Kilian Dreißig