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"Anrüsten": So werden Milchkühe hormonell stimuliert

Manipulation am Euter der Kuh setzt in ihrem Gehirn Oxytocin frei Bild: pixabay.com

Kaum ein Verbraucher weiß, dass "Milchkühe" vor dem Melken manuell "angerüstet" – also an ihren Geschlechtsteilen stimuliert – werden. Das Ziel: Die Ausschüttung eines Hormons, das den Milchfluss auslöst.

Das "Fummeln" an den Geschlechtsteilen der Kuh lässt Kuhmilch in einem ganz neuen Licht erscheinen. Es zeigt, dass Kühe keineswegs Milch "geben". Im Gegenteil: Es kann sogar ziemlich kompliziert sein, an ihre Milch zu gelangen.

Was es mit dem "Anrüsten" auf sich hat – und welche Tricks Milchbauern nutzen, um natürliche Schutzmechanismen der Kuh zu überwinden -, erklären wir euch hier.

Dieser Artikel erklärt Hintergründe, die kaum ein Verbraucher kennt. Damit ihr die Aussagen selbst überprüfen könnt, haben wir sie mit externen Quellen belegt. Meist stammen diese übrigens aus Fachkreisen der Agrar-Industrie.

Kühe geben uns nicht einfach ihre Milch

In der Natur ist Milch Säuglingsnahrung. Auch eine Mutterkuh gibt Milch, um ihre Nachkommen zu ernähren.

Damit die Kuh vor Milchdieben (wie anderen Säugetieren) geschützt ist, fließt die Milch nicht "einfach so". Das Euter einer Kuh ist also kein Wasserhahn, den man einfach aufdrehen könnte. Im Gegenteil!

Wenn ein Kalb am Euter der Mutter saugt, wird im Gehirn der Kuh das Neurohormon Oxytocin ausgeschüttet. Dadurch wiederum schießt die Milch ins Euter ein ("Milchejektionsreflex"). [1][2][3][4]

Das Hormon Oxytocin wird auch bei Menschen z. B. beim Kuscheln, Petting und auch beim Sex ausgestoßen. [5] Aber auch, wenn eine menschliche Mutter ihr Baby stillt. [6] Es verstärkt die soziale Verbindung und Zuneigung zueinander und wirkt zudem angstlösend.

Damit eine Kuh überhaupt Milch bildet, muss sie erst ein Junges zur Welt bringen. Es gibt ohne Kalb keine Kuhmilch (Faktencheck)! Dafür werden die Kühe jährlich künstlich befruchtet und bringen nach 9 Monaten ihr Kalb zur Welt.

Normalerweise würde das Kalb nach wenigen Minuten beginnen, bei seiner Mutter zu saugen. Mit Nase und Mund würde es das "Gesäuge" einer Kuh intensiv "bearbeiten" und dabei auch immer wieder mit der Nase nach oben ans Euter stoßen. Der natürliche "Code", um an die Milch der Mutter zu gelangen.

Auf YouTube gibt es viele Beispiele, die zeigen, wie das Kalb trinkt und dabei immer wieder gegen das Euter der Mutter stößt. Wir zeigen euch ein Video vom Lebenshof "Hof Butenland", wo ein älteres Kalb noch bei seiner Mutter saugt:

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Die mitunter ruppige Stimulation des Euters löst im Gehirn der Kuh die Ausschüttung von Oxytocin aus. Beide Tiere empfinden in dieser Situation wahrscheinlich eine tiefe Verbindung zueinander. Und Milch schießt aus den "Alveolen" in die "Zisterne" der Mutter und kann vom Kalb über die Zitzen aufgenommen werden.

Dass Kühe nicht "einfach so" Milch geben, ist ein natürlicher Schutz der Natur vor Milchdieben.

Unpraktisch für Milchbauern, die die Milch nicht dem Kalb geben möchten – sondern der Molkerei.

So überwinden Milchbauern den natürlichen Schutz der Kuh vor "Milchdieben"

Für eine junge Kuh, die das erste Mal ein Kalb zur Welt gebracht hat, kann es außerordentlich belastend sein, wenn ihr das Junge vom Milchbauern weggenommen wird. [7]

Manche Tierarten können bis heute kaum von Menschenhand gemolken werden. Yak-Kühe werden z. B. vom Kalb "vorgemolken" und das Kalb verbleibt während dem Melken bei der Mutterkuh. [8]

Wenn die junge Kuh also im Melkstand steht und nervös nach ihrem Jungen sucht (das sich vielleicht schon im Kälber-Iglu oder beim Mäster befindet), können die Chancen für den Milchbauern äußerst gering sein, an ihre Milch zu gelangen. Agrar-Fachleute sprechen von einer "Ejektionsstörung". [9][10]

Das "Einmelken" junger, oft verängstigter Kühe gehört in der Milchindustrie daher dazu. Der Bauer manipuliert dabei die Zitzen und das Euter intensiv mit der Hand, um das Einschießen der Milch ins Euter auszulösen.

Hilfsweise wird mitunter auch Luft über ein Rohr in die Scheide der Kuh geblasen. Manchmal wird auch Strom in den After verabreicht. (Belege dazu findet ihr im verlinkten Artikel).

Manche Landwirte verabreichen besonders "widerspenstigen" Kühen künstlich gewonnenes Hormon (Oxytocin) auch per Spritze. [11][12] Das kann allerdings dazu führen, dass Kühe süchtig danach werden. Ohne die tägliche Dosis Oxytocin geht dann gar nichts mehr.

Viele moderne Melkmaschinen integrieren eine sogenannte "Stimulationsphase" – die Manipulation an den Eutern der Tiere erfolgt dann vollautomatisch.

Manche Tierhalter (insbesondere Ungelernte) kennen den Begriff der "Anrüstung" selbst nicht und werfen uns mitunter vor, es erfunden zu haben. Unsere unten aufgeführten Quellen zeigen, dass es tatsächlich zur Milchproduktion dazu gehört.

Intensives "Anrüsten" ist unseren Informationen zufolge nicht immer notwendig. Viele Kühe gewöhnen sich im Laufe der Zeit so sehr an das Melken, dass bereits die Säuberung des Euters und das Ansetzen der Melkmaschine den Hormonausstoß auslöst.

Der Artikel über das "Anrüsten von Kühen" zeigt jedoch, dass Kühe keineswegs einfach "Milch geben". Milchbauern müssen die natürlichen Schutzmechanismen der Kuh erst einmal austricksen.

  • "Anrüsten" bezeichnet die manuelle Stimulation des Euters (und umliegender Bereiche) der Kuh.
  • Durch das "Anrüsten" wird im Gehirn der Kuh der Ausstoß des Hormons Oxytocin angeregt.
  • Durch das Hormon Oxytocin wird Milch im Euter freigesetzt.
  • Manche Kühe sind das Melken schon so gewohnt, dass das "Anrüsten" nicht viel Zeit beansprucht.
  • Wer die Manipulation an den Geschlechtsteilen von Kühen ablehnt, kann einfach auf pflanzliche Milch-Alternativen zurückgreifen.

In einem anderen Artikel stellen wir 4 unangenehme Fragen an Milchbauern vor. Darin geht es auch um das "Anrüsten" – aber auch um weitere Aspekte, über die viele Milchbauern nicht so gerne reden.

Übrigens: Tatsächlich gibt es gute Gründe, Kuhmilch zu meiden. Für eine sachliche Debatte ist es jedoch wichtig, die Hintergründe zu kennen. Zum Beispiel, dass Kühe eben nicht "Milch geben".

Nachtrag: Ist "Fummeln" ein korrekter Begriff für das Anrüsten?

Zu diesem Artikel wurde uns vorgeworfen, den Begriff "Fummeln" verwendet zu haben. "Fummeln" rücke das Anrüsten in ein ungünstiges, sexuelles Licht.

Der Duden nennt zum Wort "Fummeln" mehrere Deutungen, darunter diese: [13]

  • mit den Händen tastend, suchend sich zu schaffen machen, und
  • jemanden als Form des erotisch-sexuellen Kontakts berühren, streicheln.

Natürlich ist die Motivation des Milchbauern beim "Anrüsten" nicht sexueller Natur. Doch Oxytocin ist ein Sexualhormon und genau um dieses Sexualhormon geht es beim "Anrüsten". Wir bleiben daher bei der Verwendung des Begriffs und würden uns freuen, statt über Begrifflichkeiten, über das Anrüsten selbst zu diskutieren.

Denn obwohl die Milchwerbung darüber nicht spricht, gehört es doch zur Milchproduktion dazu. Verbraucher sollten darüber Bescheid wissen, damit sie fundierte Entscheidungen treffen können.

Der Artikel wurde am 4.6.2023 ergänzt.

Quellen

  1. Werbliches Video der AMA: https://youtu.be/QzHIdbbFcTc?t=88
  2. Branchenportal über Milch: https://www.milchpur.de/melken/melken-so-gehts-richtig/
  3. Dissertation: "Untersuchungen zu Milchejektionsstörungen bei erstlaktierenden Kühen" https://edoc.hu-berlin.de/bitstream/handle/18452/16308/heidig.pdf?sequence=1
  4. Diplomarbeit: "Vergleichende Untersuchungen zur Wirkung maschinell übertragener Stimulationsreize auf Milchgabe und Oxytocinfreisetzung bei Kühen": https://mediatum.ub.tum.de/doc/1437493/1437493.pdf
  5. https://www.apotheken-umschau.de/mein[...]kuschelhormon-718033.html
  6. https://www.frauenaerzte-im-netz.de/schw[...]tentwicklung-muttermilch/
  7. https://www.quarks.de/umwe[...]he-trennung-kalb-und-kuh/
  8. https://www.heike-sievers.com/mong[...]dukte-texterin-im-urlaub/
  9. Agrar-Magazin Elite: https://www.elite-magazin.de/news/nachrichten/wenn-kuhe-die-milch-nicht-hergeben-12244.html
  10. Artikel auf agrarheute.com: https://www.agrarheute.com/tier/rind/milcherzeugung-tun-kuehe-milch-hergeben-569852
  11. Artikel im Agrar-Magazin Top-Agrar: https://www.topagrar.com/rind/news/wie-die-oxytocingabe-bei-kuehen-im-melkstand-reduzieren-12794780.html
  12. Agrar-Magazin Elite: https://www.elite-magazin.de/tiergesundheit/vorsicht-oxytocin-macht-abhangig-20333.html
  13. https://www.duden.de/rechtschreibung/fummeln

Veröffentlichung:

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"Anrüsten": Wie Tierhalter für Kuhmilch fummeln müssen
Letzter Beitrag: 04.06.2023, von kilian.

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4,9/5 Sterne (18 Bew.)
AUTOR: KILIAN DREIßIG
Vegane Lebensweise vereint Klimaschutz, Tierschutz und Lebensqualität. Gründe genug, mich als Journalist damit zu beschäftigen.

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