Faktencheck: Enthält Kuhmilch wirklich Eiter?

Enthält Kuhmilch wirklich Spuren von Eiter – oder handelt es sich um ein unappetitliches Gerücht?
Eiter in Milch – diese Vorstellung kann einem die Lust auf Milchprodukte verderben. Wer isst schon gerne Eiter-Sekrete aus entzündeten Kuh-Eutern?
In unserem Faktencheck folgen wir der Spur von Eiter in Milch – und belegen unsere Erkenntnisse mit externen Quellen, damit ihr sie überprüfen könnt.
Die wichtigsten Fakten zum Eiter in Kuhmilch vorab:
- Ja, jeder handelsübliche Liter Kuhmilch enthält tatsächlich Eiter.
- Bei Eiter handelt es sich um eine Mischung aus körpereigenen Zellen, Erregerzellen und Gewebe.
- Eiter in Kuhmilch stammt in der Regel aus entzündeten Eutern (Mastitis), eine der häufigsten Erkrankungen und Todesursachen in Milchbetrieben.
- Weil Milch von vielen Rindern gesammelt und im Tank vermischt wird, enthält handelsübliche Kuhmilch tatsächlich Spuren von Eiter.
- Eiter in Kuhmilch ist normalerweise nicht gesundheitsschädlich, denn Milch wird in mehreren technischen Prozessen denaturiert. Dadurch werden Erreger im Eiter abgetötet.
Die wichtigsten Informationen im Kurzvideo:
Was ist eigentlich Eiter?
Wenn ein Krankheitserreger in den Körper eines Säugetiers eindringt, beginnen die körpereigenen Abwehrzellen (Leukozyten) den Erreger anzugreifen und "aufzufressen".
Dieser Vorgang des Immunsystems wird als "Phagozytose" bezeichnet. [1] Eiter zeigt also, dass das Immunsystem einen Erreger abwehrt.
Bei einer starken Infektion und übermäßiger Phagozytose verklumpen die aktivierten Abwehrzellen – und werden als Eiter sichtbar [2][3]. Es kann zum Beispiel an einer entzündeten Wunde ein Ausfluss entstehen. "Eiter" ist ein umgangssprachlicher Begriff. In der Medizin spricht man von "Pus" [4].

In einer Laboranalyse kann ermittelt werden, wie viele Erreger- und Abwehrzellen sich in Kuhmilch befinden. Daraus lassen sich Schlüsse auf das Vorhandensein von Eiter in Milch ziehen. Diese Messungen werden routinemäßig durchgeführt.
Eiter in Kuhmilch bedeutet also in erster Linie, dass es Entzündungen im Kuhstall gibt.
Wieso eitern die entzündeten Euter der Kühe?
In großen Ställen mit 50, 100 oder 1.000 Rindern ist es normal, dass die Tiere in Berührung mit ihrem eigenen Kot kommen. Je kleiner der Raum, auf dem sich die Tiere bewegen können, desto höher das Risiko. Das Risiko einer Euter-Infektion – und einer eiterigen Entzündung – ist daher in der intensiven Tierhaltung per se erhöht. [5][6]
Milchkühe in der Milchindustrie erzeugten im Jahr 2022 durchschnittlich knapp 8.500 Kilo Milch.[7] Dementsprechend groß sind die Euter der Hochleistungsrassen (Tierschützer bezeichnen sie wegen der Folgen für die Tiere als "Qualzüchtungen"). Die Zitzen der Tiere kommen häufiger in Kontakt mit verunreinigtem Boden. Kot und Erreger können in die "Strichkanäle" (Zitzen) eindringen, insbesondere, wenn die Tiere ganztägig im Stall stehen. Es entstehen Entzündungen.
Konkrete Zahlen über die Verbreitung von Mastitis lassen sich zwar schwer finden. In Hessen war Mastitis im Jahr 1996 jedoch mit 19,4 % die zweithäufigste Todesursache für Milchkühe. "Abgang" bedeutet bei Tierhaltern, dass die Tiere geschlachtet wurden. [9]

Diese Zahlen können sich stark unterscheiden. In manch einem Betrieb ist jede zweite Kuh von einer Euterentzündung betroffen. [10] Tierhalter bezeichnen Kühe mit Euterentzündung übrigens als "Mastitiden".

Eiter-Infektionen durch Melken
Durch das maschinelle Melken können Verletzungen am Euter auftreten, durch die Erreger eindringen. Dies kann zu einer sogenannten Mastitis, also Euterentzündung, führen – in manchen Fällen mit hohem Fieber und klar erkennbarem Eiter-Austritt am Euter der Kuh.
Tierhalter können eine beginnende Mastitis nicht immer sofort erkennen. Bei einem Teil der Tiere verläuft die Erkrankung "subklinisch", also ohne äußere Auffälligkeit. So können große Mengen Eiter in den Milchtank gelangen.[11]
Um einer Euterentzündung vorzubeugen oder diese zu behandeln, verwenden Milchwirte Desinfektionsmittel, oft auch Antibiotika. Die Behandlung erfolgt unter Abwägung der Kosten. Hohe Eiter-Werte in der Milch verringern das Einkommen, andererseits muss der Tierhalter die Milch von Kühen entsorgen, die Antibiotika bekommen.
Für Tierhalter ist es wichtig, die Keimbelastung gering zu halten. Hohe Keimbelastungen senken den Milchpreis, den der Milchbauer von der Molkerei erhält. [12] Allerdings gibt es Toleranzgrenzen, dazu unten mehr!
Höchstmengen an Eiter in Kuhmilch
Durch eine tierärztliche Untersuchung kann eine Mastitis erkannt und die Kuh entsprechend ausgesondert und behandelt – oder "gemerzt" (also getötet) – werden. (So spricht die Tierindustrie, wenn Verbraucher wegschauen).
Die Zellzahl wird in der Molkerei nicht pro Tier ermittelt. Zum Einsatz kommt vielmehr ein "geometrisches Mittel" über mehrere Monate, sodass eine einzelne an Mastitis erkrankte Kuh nicht unbedingt auffällt. Selbst dann, wenn aufgrund einer Entzündung sichtbar Eiter aus ihrem Euter austritt und in den Milchtank gelangt.
Kuhmilch wird vor dem Verkauf normalerweise zentrifugiert und pasteurisiert. Durch diese technischen Prozesse werden Bakterien und Erreger abgetötet, sodass die Gefahr einer Infektion durch Milch-Konsum unwahrscheinlich ist. Allerdings verliert die Milch durch die Verarbeitung ihre Eigenschaft als "Naturprodukt".
Eiter in der Milch? Die Milch-Güteverordnung regelt die Grenzwerte!
Die Milch-Güteverordnung, die vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) erlassen wird, definiert Qualitätsklassen für Kuhmilch. Zur Klassifizierung werden regelmäßig Keimzahlen, Hemmstoffe (z. B. Medikamente), "somatische Zellen" (siehe oben), sowie weitere Werte in der Milch ermittelt. Für höhere Qualität erhält der Milchwirt von der Molkerei mehr Geld [14].
In Milch der Klasse 1 dürfen gemäß der Milchgüteverordnung (MilchGütV) 1980 (letzte Änderung: 2010 [15]) 100.000 Keime pro ccm Kuhmilch (bei 30° Celsius) enthalten sein. Wenn bei der Kontrolle mehr Keime gefunden werden, bekommt die Milch die Klasse 2. [16]
Bei somatischen Zellen, zu denen auch die körpereigenen Abwehrzellen des Eiters gehören, liegt der Grenzwert allerdings bei 400.000 pro ccm – also dem Vierfachen der Erregerzellen – und zwar über alle Qualitätsklassen hinweg. [17]
Der physiologische Normalwertbereich liegt rasseunabhängig bei 20.000 bis maximal 100.000 Zellen/ml Milch. [18] Was darüber liegt, deutet per Definition auf eine Krankheit hin.
Die Kontrollen müssen vom Milcherzeuger zweimal im Monat durchgeführt werden. [19]
Eiter ist in Kuhmilch – trotz Grenzwerten
Auch wenn die Grenzwerte streng sind und die Milch vor dem Verkauf pasteurisiert und zentrifugiert wird, kann man davon ausgehen, dass jeder Liter Kuhmilch Spuren von Eiter enthält.
Die Antwort auf die Frage, ob Kuhmilch Eiter enthält, lautet daher: "Ja". Alle Quellen könnt ihr selbst überprüfen, um euch ein eigenes Bild der Lage zu machen – ohne Ideologie und Vorbehalten.
Eiter in Kuhmilch? 3 unbewiesene Behauptungen!
Zusätzlich zu den oben genannten und durch externe Quellen gestützten Informationen gibt es weitere Behauptungen über Eiter in Kuhmilch, die sich schwer belegen lassen. Dazu zählen diese:
- Behauptung: Manche Landwirte "verdünnen" besonders stark belastete Milch mit weniger stark belasteter Milch (ggf. von Nachbarbetrieben), um die durchschnittliche Keimzahl zu verringern. Faktencheck: Hier sind keine statistischen Untersuchungen vorhanden, da ein solches Vorgehen an der Grenze zur Kriminalität wäre und Landwirte mit Konsequenzen zu rechnen hätten.
- Behauptung: Jeder Milchbetrieb in Deutschland hat Probleme mit Mastitis. Faktencheck: Nicht nachweisbar, da hierzu jeder einzelne Betrieb überprüft werden müsste. Stichprobenartige Untersuchungen haben aber gezeigt, dass Mastitis sehr verbreitet ist und zu den häufigsten Todesursachen von "Milchkühen" gehört.
- Behauptung: Relevant ist nur die Zahl der Keimzellen zum Zeitpunkt der Milchabgabe in der Molkerei, nicht aber die Zahl der Keime zum Zeitpunkt des Verkaufs (Vermehrung von Keimen). Faktencheck: Das ist korrekt.
Haferdrink ist übrigens eine klimafreundliche Milchalternative. Erfahrt hier die Vorteile von Hafermilch gegenüber Kuhmilch.
Der Artikel wurde am 19.1.2025 überarbeitet und aktualisiert. 12.3.2025: Kurzvideo eingefügt.
Quellen
- https://de.wikipedia.org/wiki/Phagocytose
- http://de.wikipedia.org/wiki/Proteolyse
- https://de.wikipedia.org/wiki/Eiter
- https://www.gesundheit.gv.at/lexi[...]ikon/E/lexikon-eiter.html
- https://www.tiergesundheitundmehr.de/akut[...]/akute-mastitis-rind.pdfx
- https://mlr.baden-wuerttemberg.de/file[...]_Milchviehhalter_2018.pdf
- https://de.statista.com/stat[...]in-deutschland-seit-2000/
- https://www.elite-magazin.de/news[...]klich-gesunder-12233.html
- http://bibd.uni-giessen.de/gdoc/[...]gdoc/2002/uni/p020001.pdf
- https://www.agrarheute.com/tier[...]tis-griff-bekommen-553594
- https://www.patho.vetmed.uni-muenchen.de/stud[...]gie/mastitis/mastitis.pdf
- https://www.gesetze-im-internet.de/rohm[...]chg_tv/BJNR004710021.html
- https://www.topagrar.com/rind[...]stitis-nicht-9672793.html
- http://www.lfl.bayern.de/iem/m[...]m/milchwirtschaft/026702/
- https://www.bgbl.de/xave[...].pdf%27%5D__1669483009909
- https://www.buzer.de/gesetz/5969/a82033.htm
- https://milchindustrie.de/milkipedia/zellzahl/
- https://www.bauernzeitung.de/agra[...]xis/tierhaltung/mastitis/
- https://llh.hessen.de/tier[...]qualitaet-und-keimgehalt/
Veröffentlichung:
Autor: Kilian Dreißig