Was ist "Vegan Shaming" eigentlich? Und wie geht man damit um?
Was ist "Vegan Shaming" (übersetzt etwa "Bloßstellung von Veganismus / Veganern") eigentlich genau? Worum geht es dabei?
In diesem Artikel geht es um das "Vegan Shaming" selbst, die Hintergründe - und auch darum, wie man damit umgeht.
Wir beginnen mit einem klassischen Beispiel. Stellt euch vor, Hans möchte gerne vegan leben. Das Wohl der Tiere, aber auch eine umweltfreundliche Lebensweise sind ihm wichtig. Die wichtigsten Gründe für Veganismus.
Bei seinen Recherchen hat Hans festgestellt, dass vegane Ernährung in der Hinsicht viele Vorteile bietet. Er will es einfach mal ausprobieren.
Da Hans aber nicht gleich alle seine Angewohnheiten über Bord werfen möchte, greift er gerne einmal zu Ersatzprodukten, zum Beispiel veganem Käse. Der schmeckt ähnlich wie "echter" Käse, ist aber frei von Tierprodukten. Warum Veganer keinen Käse essen.
Die Kollegen auf Arbeit wollen wissen, wie ihm der Vegan-Umstieg gelingt. Und Hans berichtet, wie froh er ist, dass er trotz seiner Ernährungs-Umstellung nicht auf den gewohnten Geschmack verzichten muss.
Die meisten Kollegen finden es berechtigt, wenn Hans vegan lebt. Warum auch nicht? Er schadet damit ja niemandem und tut es sogar aus guten Gründen.
Doch nicht alle gehen entspannt mit dem Thema um! Das "Vegan Shaming" beginnt.
Denn Kollege Peter kann mit "veganem Käse" gar nichts anfangen. "Veganer Käse? Das ist doch Verbrauchertäuschung", schimpft er.
Dass Hans den veganen Käse gerade deshalb kauft, weil er vegan ist (und ein gut sichtbares "Vegan"-Siegel trägt), ignoriert Peter einfach. Stattdessen wirft er Hans vor, "Dreck" zu essen und Teil einer veganen "Sekte" zu sein.
Das möchte Hans natürlich nicht auf sich sitzen lassen. Nicht wegen einem veganen Käsebrot! Er verteidigt sich, wirft Peter Ignoranz gegenüber Tieren und Umwelt vor. Die Fetzen fliegen.
Daher kommt das "Vegan Shaming".
Peters Empörung hat nichts mit Verbraucherschutz zu tun. Sie kommt aus einer anderen Richtung.
Peter versteht in irgendeiner Region seines Denkens durchaus, warum Hans vegan lebt. Klimaschutz, Tierschutz, all diese Themen. Doch es ärgert ihn, dass der sonst so stille Hans plötzlich Aufmerksamkeit von den Kollegen bekommt. Und auch noch so gute Argumente hat.
Peter, der sonst die Grillfeste organisiert, die "männlichen" Witze macht und sich gerne im Mittelpunkt sieht, fühlt sich in seinem Revier bedroht. Und vor den Kollegen bloßgestellt.
Und das macht Peter wütend. Er fühlt sich angegriffen und als Tierquäler dargestellt. Das Gefühl löst in ihm Aggressionen aus.
Und auch wenn nicht alle Menschen gleich aggressiv werden, ist Peter doch keineswegs allein.
Die meisten Menschen in Deutschland sind nämlich gegen Tierquälerei. Zugleich essen aber die meisten Menschen in Deutschland gerne Tierprodukte, die mit Tierquälerei in Verbindung stehen.
Das bringt sie in eine emotionale Zwickmühle. Entweder, sie "outen" sich als Tierquäler, oder sie "outen" sich als Veganer.
Oder sie verdrängen das Thema.
"Vegan Shaming": Kampf gegen das schlechte Gewissen
Verdrängung ist indes schwierig, wenn plötzlich ein Veganer auftaucht, wie ein personifiziertes schlechtes Gewissen.
Denn Hans zeigt, dass es durchaus möglich ist, vegan zu leben. Dass es also eigentlich gar kein Dilemma gibt.
Manche Menschen reagieren auf diese Emotionen mit Aggression. Das schlechte Gewissen kommt aus ihnen selbst. Doch es gelingt ihnen nicht, dies zu reflektieren.
Das Schlechtreden von Veganern und veganen Produkten - "Vegan Shaming" - ist ein Angriff, der sich für die Angreifer wie Verteidigung anfühlt. Es dient dazu, die bekannten Gewohnheiten zu verteidigen und den vermeintlichen "Provokateur" zur Strecke zu bringen. Wenn schon nicht tatsächlich, so doch immerhin sozial.
Menschen, die Veganer ausgrenzen und schlecht dastehen lassen, tun dies meist, weil sie Veganismus als Bedrohung ihrer eigenen Angewohnheiten und ihrer Integrität sehen.
Weil sie Angst vor Veränderung haben.
Hier ein sehenswertes Interview mit dem Psychologen Prof. Dr. Klotter:
Hier geht's zum Interview-Artikel.
Der richtige Umgang mit "Vegan Shaming"
"Vegan Shaming" offenbart persönliche Schwächen und ist kein faires Mittel für eine konstruktive Diskussion. Leider führt "Vegan Shaming" viel zu oft dazu, dass sich Veganer schlecht behandelt und ausgegrenzt fühlen.
Neu auf Vegpool:
Wie geht man als Veganer also am besten mit (unfairem) "Vegan Shaming" um?
Wir empfehlen Nachsicht und eine gesunde Distanz. Menschen nicht nur beim Wort nehmen, sondern auch die Hintergründe betrachten.
Wer sich über veganen Käse (und andere vegane Ersatzprodukte) aufregt, ist Opfer der eigenen Affekte und Emotionen. Hitzige Debatten vermitteln nur den Eindruck, die Aufregung wäre berechtigt. Zudem entwickeln sich schnell aggressive Diskussionen, die wiederum das Vorurteil von den "aggressiven Veganern" zu bestätigen scheinen.
Stattdessen empfehlen wir, Diskussionen mit "Vegan Shamern" nach Möglichkeit aus dem Weg zu gehen und das Thema zu vermeiden.
Die Tatsache dass ein Kollege vegan lebt wirkt von selbst. Die Mitmenschen machen sich ohnehin Gedanken. Schon die Präsenz und das (passive) Vorleben bewirkt oft mehr als jede aktive Diskussion.
Veröffentlichung:
Autor: Kilian Dreißig