Die tragische Moralisierung der Militanten Veganerin [Kommentar]
Wenn Tierrechtsaktivistin Raffaela Raab als "Militante Veganerin" zur Höchstform aufläuft, dann ist ihr die Aufmerksamkeit sicher. Wenn auch nicht unbedingt die Anerkennung aller Beteiligten.
So gab es jüngst etwa einen ARD-Report, in dem die Aktivistin gleich zu Beginn mit einem fiesen Versprecher zitiert wird ("Ausscheidungen von versklavten und ermordeten Tieren" im Hochzeitskuchen).
Ich würde in solchen Momenten gerne rufen: "Wir Veganer sind nicht alle so!" Denn ihre Strategie ist nicht nur umstritten – es gibt Gründe für die Annahme, dass sie ihrem Anliegen damit schadet.
Als ich Raffaela Raab vor zwei Jahren in Berlin getroffen hatte, hat mich ihre Energie fasziniert. Die Frau ist kreativ, mutig und entschlossen. Als langjähriger Veganer hatte ich allerdings wenig zu befürchten. Eine einfache Mutprobe.
Heute scheint es mir manchmal, als hätte Raffaela ihre Ziele aufgegeben. Als wäre sie gefangen in einem Karussell aus Klatsch-Aktivisten, die um sie herum kreisen. Blind und aktionistisch.
Schon beim damaligen Treffen habe ich Raffaela gefragt, was sie tun würde, wenn sich ihre Form des Aktivismus als falsch erweisen würde. Hier findet ihr die Stelle im Video (Direktlink).
Sie sagte sinngemäß, es gäbe keine Evidenz, welche Vorgehensweise die Tierrechtsszene vorantreiben würde. Man könne sich daher nur an vergangenen Gerechtigkeitsbewegungen orientieren.
Das habe ich einfach weggenickt. Besser, ich hätte es nicht getan.
Denn: Es gibt dazu durchaus wissenschaftliche Erkenntnisse.
"Moral verbindet und verblendet", so drückt es etwa der Moralpsychologe Jonathan Haidt in seinem Buch "The Righteous Mind" aus. Darin erklärt er, warum Menschen überhaupt Moral entwickelt haben – und wie sie grob funktioniert.
Wer mit Moral hausieren geht, bekommt in erster Linie Zustimmung aus den eigenen Reihen, erklärt Haidt. Also von den Menschen, die einem wichtig sind. Das ist gut fürs Selbstbewusstsein und stärkt die Verbindung zur eigenen Gruppe. Für Öffentlichkeitsarbeit ist Moralisierung gewissermaßen Gift.
Der Aktivismus der Militanten Veganerin ist reichweitenstark, weil er gegen soziale Normen verstößt. Ihr aggressives Auftreten lässt Fleischesser als Opfer dastehen, mit denen man sich intuitiv solidarisieren möchte. Ein Skandal mit einfachen Mitteln.
Doch wahrscheinlich liegt sie mit ihrer Strategie falsch.
Und ja, es gibt sie, die wissenschaftlichen Erklärungen. Jetzt muss es sich nur noch herumsprechen.
Auf Vegpool empfehlen wir eine entspannte vegane Ernährung nach dem Pareto-Prinzip. Weil Veränderung so leicht geht – jeder Schritt zählt.
Hier zwei Lesetipps: "The righteous mind" von Jonathan Haidt erklärt, wie menschliche Moral entsteht und welchen evolutionären Zweck sie hat.
"Schnelles Denken, langsames Denken" von Daniel Kahneman erklärt, warum Menschen oft irrationale Entscheidungen treffen – und was hilft.
Beide Bücher machen deutlich warum a) Moralisierung so gut wie wirkungslos ist und b) warum wirksame Kommunikation die Intuition anspricht und nicht bloß den Verstand.
Veröffentlichung:
Autor: Kilian Dreißig