Gründe, warum das "Recht des Stärkeren" nicht existiert
Manchmal hören wir Behauptungen über ein vermeintliches "Recht des Stärkeren".
Onkel Hans erklärt zum Beispiel beim Essen, dass die Natur hart sei und die Evolution schon immer erfordert hätte, Tiere zu töten.
Demzufolge sei es legitim, Fleisch aus dem Discounter zu verzehren.
Plattitüden über ein "Recht des Stärkeren" offenbaren jedoch ein fundamentales Unverständnis der Evolution.
Aus diesen drei Gründen!
Die ersten beiden Gründe sind eher formell. Der dritte Grund zeigt aber, warum wir Menschen schon von jeher kein "Recht des Stärkeren" kennen.
Grund 1: Es gibt kein Recht des Stärkeren.
Rechte sind kulturelle Errungenschaften. Nur Menschen haben Rechtssysteme erschaffen. Es gibt kein "Recht des Stärkeren", und schon gar kein "naturgemäßes" oder "evolutionäres".
Grund 2: Das "Recht des Stärkeren" ist ein Anti-Recht.
Es gibt nicht nur kein "Recht des Stärkeren" – das "Recht des Stärkeren" steht vielmehr für Chaos. "Alles ist erlaubt, was möglich ist". Es ist also das Gegenteil von Recht – und damit ist schon die Bezeichnung "Recht des Stärkeren" ein Widerspruch in sich.
Grund 3: "Überleben des Stärksten" ist nicht dasselbe wie das "Recht des Stärkeren".
In der Natur sterben Arten aus, die sich nicht durchsetzen können. Das ist das Grundprinzip der Evolution.
Dass Menschen ultrasoziale Wesen sind, ist kein evolutionäres Versehen, sondern eine Folge des evolutionären Drucks.
Wir sind soziale Wesen mit klaren Moralsystemen, weil es für unser Überleben notwendig war.
Spätestens mit der Erfindung des Speers vor einigen hunderttausend Jahren konnten sich körperlich schwächere Exemplare unserer Art behaupten und ihre Gene weitergeben.
Damit war "Survival of the strongest" ausgehebelt. Ab nun galt für Menschen: Der Cleverste überlebt.
Das eröffnete ein neues Problem: Denn wer sich vom Stamm bedienen ließ, bei kriegerischen Auseinandersetzungen aber im sicheren Lager blieb, hatte beste Voraussetzungen, um sich fortzupflanzen.
Salopp gesagt: Die Mutigen wurden an der Front abgemetzelt, während die Feigen im Lager Schäferstündchen hielten. Die "Trittbrettfahrer" profitierten – oder vielmehr ihre Gene.
Die Folge: Stämme mit hohem Anteil an Trittbrettfahrern wurden im Überlebenskampf geschwächt und starben aus. Profitiert haben Stämme, denen es gelang, das Trittbrettfahrer-Problem in den Griff zu bekommen, und so ein Gleichgewicht aus Stärke und Intelligenz herzustellen.
Damit urzeitliche Stämme nicht von Trittbrettfahrern ausgenutzt wurden, entwickelten sie Sprache, Moralsysteme und Religionen (auf denen unsere heutigen Moral- und Rechtssysteme aufbauen).
Wer den Stamm ausgenutzt oder verraten hatte, wurde diszipliniert, verbannt oder getötet. Schlecht für die Weitergabe der eigenen Gene.
Wichtiger als reine Körperstärke oder pure Intelligenz wurde soziale Reputation. Tugendhaftigkeit und Charme gewinnen.
Auf der Welt gibt es nur wenige ultrasoziale Tierarten. Menschen gehören dazu. Zusammen mit anderen Arten wie Ameisen, Nacktmullen. Sie sind in der Lage, stabile Zivilisationen aufzubauen – und über die Verwandtschaft hinaus altruistisch zu handeln (auf Gegenseitigkeit).
Exemplare ultrasozialer Arten opfern sich (innerhalb ihres Stammes) sogar füreinander auf. Das fördert zwar nicht die Weitergabe der eigenen Gene – wohl aber die der Verwandtschaft im eigenen Stamm.
Evolutionärer Druck hat uns die Ultrasozialität in die Gene einprogrammiert. Und Sprache und Moral sind unsere Werkzeuge.
Wenn ihr also im Netz auf Sprüche über das "Recht des Stärkeren" stoßt, setzt doch einen kurzen Link zu diesem Artikel. Denn das Wissen über den Irrtum des "Recht des Stärkeren" macht allenfalls klüger. Und möglicherweise ruft es die ultrasozialen Wurzeln in Erinnerung, die tief in uns veranlagt sind.
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Veröffentlichung:
Autor: Kilian Dreißig