Warum deutsche Milchkälbchen im Nahen Osten geschächtet werden

Es sind schockierende Nachrichten für Milchtrinker: "Milchkälber" werden im Nahen Osten ohne Betäubung geschächtet. Wenige Monate alte Tiere winden sich im eigenen Blut, während das Leben aus ihnen entweicht.
Darunter Tiere aus deutschen Ställen, von deutschen Milchbauern!
Doch wie genau hängt die Milchproduktion mit dem betäubungslosen Schächten zusammen? Und welche Alternativen helfen wirklich, um diese Praxis zu unterbinden?
Wir haben die Hintergründe für euch recherchiert!
Vorab in Kürze:
- "Milchkälber" werden geboren, um den Milchfluss der Mutterkuh anzuregen. Nach der Geburt werden die meisten Kälber an Mäster verkauft. Die männlichen Tiere taugen schließlich nicht für die Milchproduktion.
- Nach der Mast werden die Kälber weiterverkauft – und oft ins Ausland exportiert.
- Einige Kälbchen werden im Nahen Osten geschächtet – also ohne Betäubung getötet.
- Reporter haben herausgefunden, dass ein Teil der Tiere aus Bio-Betrieben kamen. Also von Betrieben, die sich in der Öffentlichkeit als besonders tierfreundlich darstellen.
- Für pflanzliche Milchalternativen werden keine Kälber getötet. Sie lassen sich ähnlich verwenden wie Milch, sind aber frei von tierischen Fetten und oft billiger.
Kuhmilch ist von Natur aus die Nahrung von Kälbern. Eine Kuh gibt erst Milch, wenn sie ein Kalb geboren hat. Deshalb müssen Milchbauern die Kühe jedes Jahr künstlich befruchten, sonst würde der Milchfluss allmählich versiegen. Ohne Kälber geben Kühe keine Milch (Faktencheck).
Der Daseinszweck der "Milchkälber" ist also, den Milchfluss ihrer Mutter anzuregen. Milchbauern können mit den Kälbchen aber wenig anfangen. Die Jungtiere fressen Milch-Ersatz, bringen jedoch kein Geld ein. Sie sind für die Milchbauern ein notwendiges Übel.
Nur wenige weibliche Kälber werden später selbst Milchkuh. Die meisten Kälber – männliche wie weibliche – landen beim Mäster. Der bezahlt je nach Marktlage einen Preis, der mit etwas Glück die Futterkosten deckt. Das zeigt: Die Kälber werden für Milch geboren – und getötet. Die Mast ist eine Art "Resteverwertung".
Trotzdem geht Milchproduktion nicht ohne "Milchkälbchen".

Vom Kälbermäster zum Schächten in den Nahen Osten?
In der Mast gibt es zwei gängige Verfahren:
- In der weißen Mast erhalten Kälber Futter, das besonders wenig Eisen enthält. Sie haben einen chronischen Eisenmangel. Dadurch ist ihr Fleisch besonders hell.
- In der Rosé- bzw. Fressermast werden die Tiere etwa 6–12 Monate lang gemästet und erhalten auch Raufutter. Ihr Fleisch ist dunkler.
Damit Mastkälber wenig Energie verlieren, wird ihre Bewegung stark eingeschränkt. Meist stehen sie in Einzelbuchten oder kleinen Gruppenbuchten, in denen Bewegung kaum möglich ist. Diese Haltung gilt als besonders qualvoll.
Im Welthandel entscheidet der Preis, wohin die Kälber transportiert werden. Viele werden in Deutschland und Europa getötet, ein Teil wird in alle Welt verschifft.
Schächtung von Kälbern im Libanon
2022 hat Report Mainz über Kälbertransporte berichtet, die von der Tierrechtsgruppe Animals International aufgedeckt worden sind. Die Tiere wurden zunächst in tagelangen Transporten nach Spanien transportiert, und nach monatelanger Mast per Schiff in den Libanon.
Die Undercover-Ermittler konnten filmen, wie die Kälber mit deutschen Ohrmarken betäubungslos geschächtet wurden. Sie verbluteten an einem Schnitt in den Hals.

Deutsche Milchbauern gaben sich zwar erschrocken – ändern können sie es aber nicht. Denn: Ohne Kälber keine Milch. Und die Bauern können den Mästern nicht vorgeben, wohin diese "ihre" Kälber verkaufen.
Der SWR-Bericht hat auch deshalb Kontroversen ausgelöst, weil er deutlich gemacht hat: Für Milchprodukte werden Tiere zwangsläufig gequält und getötet!
Kurz: Die Schächtung der Kälber im Nahen Osten lässt sich nicht von der Milchproduktion trennen.
Für die Milchindustrie waren die Enthüllungen eine Katastrophe – schließlich basiert ihr Image auf Bildern von idyllischer Natur und glücklichen Tieren.
Die gute Nachricht: Pflanzliche Milchalternativen haben sich in den vergangenen Jahren rasant weiterentwickelt und sind mittlerweile oft billiger als Kuhmilch. Mit Tierschutz lässt sich also tatsächlich Geld sparen!

Ist Schächten schlimmer als Schlachten?
Beim Schächten werden Tiere ohne Betäubung getötet, indem ihnen der Hals aufgeschlitzt wird. Auch viele Menschen im Nahen Osten sind schockiert, wenn sie davon erfahren. Sie bekommen es im Alltag nicht mit. In Deutschland findet die Schlachtung ja ebenfalls meist hinter verschlossenen Türen statt, und fernab der Stadtzentren.
Ob das Schächten wirklich noch grausamer ist als eine "normale" Schlachtung, ist jedoch umstritten. Undercover-Aufnahmen zeigen immer wieder, dass auch die – eigentlich vorgeschriebene – Betäubung in deutschen Schlachthöfen nicht zuverlässig funktioniert.
Manchmal erscheint die Art der Betäubung so tierquälerisch, dass sie aus unserer Sicht mit dem Schächten vergleichbar ist.
Manche politischen Parteien versuchen, die Kritik am Schächten für ideologische Zwecke zu nutzen und Menschen aus dem Nahen Osten (oder allgemein aus anderen Kulturen) pauschal zu verurteilen.
Wir haben den Artikel am 28.2.2025 überarbeitet.
Veröffentlichung:
Autor: Kilian Dreißig