Der Geruch nach Kuhmist erinnert mich an die Kindheit. Trotzdem bin ich Veganer.
Wenn ich erzähle, dass der Geruch von Kuhmist schöne Erinnerungen in mir weckt, dann werde ich manchmal ungläubig angesehen. Ich bin ja schließlich Veganer!
Trotzdem: Der Geruch nach Kuhmist erinnert mich an die 14 Sommer, die ich als Kind mit meiner Familie auf einem Bauernhof im Schwarzwald verbracht habe!
Wir Kids durften dem Bauern morgens im Stall beim Melken helfen, während die Eltern noch schliefen. Wie stolz war ich, wenn ich eine kleine Schale mit selbst gemolkener Milch nach oben in die Ferienwohnung bringen konnte!
Ich erinnere genau, wie warme Rohmilch schmeckt, mit Strohstückchen darin und wohl auch Spuren von Kot. Selbst gemolken - der Geschmack spielte keine Rolle!
Wir durften auf dem Trecker mitfahren und auch selbst mal lenken. Wir haben in der Scheune getobt und durften zuschauen, wie der Bauer aus gammligem Obst Schnaps brannte.
Wir haben frisches Brot aus dem Holzbackofen gegessen, winzige Katzenbabys liebkost und Speck vom Schwein verzehrt, dessen Schlachtung mühsam von uns Kids ferngehalten worden war (wie ich erst viel später erfahren habe).
Es war zwar eine Kindheits-Idylle - aber sie war auch trügerisch.
Ich habe nicht hinterfragt, ob Bärbel, meine Lieblingskuh mit den tiefblauen Augen, wirklich wegen einem gebrochenen Fuß im Krankenhaus lag.
Und warum die Kälbchen in ihren Einzel-Abteilen am Kopf bluteten, wusste ich auch nicht. Der Bauer hatte ihre Hornansätze entfernt.
Ich habe mich als Kind nicht gefragt, wie es den Schweinen in ihrem finsteren Verschlag hinter dem Futtersilo geht, wohin sich auch tagsüber kaum ein Lichtstrahl verirrte. Ein Leben in Finsternis, ohne Reize.
Mir war nicht klar, was Anbindehaltung für Tiere bedeutet.
Als Kind habe ich nicht hinterfragt, was die Erwachsenen taten. Erwachsene, die es wahrscheinlich selbst noch nie fundamental in Frage gestellt hatten. Es war eben so. Punkt.
Bis heute verbinde ich daher den Gestank der Massentierhaltung mit Freiheit. So verrückt das klingt.
Vor ein paar Jahren bin ich dort einmal vorbei gefahren und habe fast nichts mehr wiedererkannt.
Längst war ein separater Offenstall gebaut worden. Die Rinder stehen jetzt nicht mehr direkt im Bauernhaus, sondern etwas abseits. Es sind viel mehr Rinder als damals.
Dort, wo wir als Kids geschaukelt und Hühner gejagt haben, stehen jetzt Wohnhäuser.
Längst ist die nächste Generation am Werk, hat den Betrieb an die Erfordernisse der heutigen Zeit angepasst, damit sich Tierhaltung weiterhin lohnt.
Obwohl auf dem Hof viele Tiere leiden mussten, erinnert mich der Geruch nach Kuhmist auch heute immer noch an schöne Kindheitstage.
Eine Zeit lang habe ich mir das als "Inkonsequenz" vorhalten wollen. Als Veganer muss ich ja schließlich auch den Geruch von Kuhmist ablehnen, dachte ich.
Doch es ist Teil meiner Geschichte und indem ich es akzeptiere, wird auch meine Vegan-Entscheidung vollständiger.
Deshalb würde ich den Bauern auch nicht moralisch verurteilen. Zu uns Kindern war er ein herzensguter Mensch. Und den Tieren gegenüber tat er, was aus seiner Sicht eben getan werden musste.
Er war nicht bösartig. Trotzdem mussten Tiere leiden.
Ich hätte mich gerne als Erwachsener mit ihm unterhalten und gefragt, wie er das eigentlich sieht, das mit der Anbindehaltung, den Schweinen in der Dunkelheit und den ausgebrannten Hörnern. Aber er ist bereits tot.
Meine Erinnerungen auf dem Bauernhof ermöglichen mir heute, Tierhalter und das Landleben besser zu verstehen. Ich weiß, dass Milchbauern meistens keine bösartigen Menschen sind und ich wünschte mir, dass man einfach freundlich miteinander reden könnte.
Nur dass ich jetzt erwachsen bin. Und mittlerweile verstanden habe, dass Lieblingskuh Bärbel mit den tiefblauen Augen ihren "Krankenhaus-Aufenthalt" wohl nicht überlebt hat.
Deshalb nicht nur freundlich reden, sondern auch ehrlich.
Veröffentlichung:
Autor: Kilian Dreißig