Warum ich als Veganer versehentlich Fleisch aß - und wie ich damit umgehe
Neulich hatte ich ein Treffen mit einem Geschäftspartner in Berlin. Wir hatten uns in einem Literaturhaus verabredet, in dessen Untergeschoss sich ein Restaurant befindet.
Da das Treffen keinen direkten Vegan-Bezug hatte, war ich froh, dass es auch zwei vegane Gerichte auf der Karte gab und ich nicht erst nachfragen musste. Ich entschied mich für den veganen Burger.
Wie ihr schon ahnen könnt: Es kam kein veganer Burger, sondern einer mit Fleisch.
Zunächst habe ich keinen Unterschied bemerkt. Konzentriert auf das Gespräch war ich bemüht, den Burger nicht auf meiner Hose zu verteilen.
Ich habe schon viele vegane Burger probiert und war überzeugt, dass es ein Patty von "Beyond Meat" sein muss. Der ist zwar nicht mein Favorit, kam mir aber von Geschmack und Konsistenz bekannt vor.
Das Einzige, was mich an diesem Burger nach einigen Bissen irritierte, war ein ganz leichter Geschmack nach Kuhstall. Es schmeckte so, wie es im Kuhstall riecht. Irgendwie nach Kot.
Und das hat mich stutzig gemacht - und ein Ekelgefühl ausgelöst. Denn diesen Geschmack hatte kein anderer veganer Burger, den ich bisher probiert hatte.
Allmählich dämmerte mir, dass der Burger möglicherweise doch aus Fleisch war.
Ich versuchte unauffällig herauszufinden, ob ich tatsächlich den veganen Burger erhalten hatte. Sicher war ich mir zu Beginn nicht und wollte das laufende Gespräch auch nicht unterbrechen, mit einem bloßen Verdacht.
Tatsächlich sollte der vegane Burger laut Speisekarte ein Gemüse-Patty enthalten, dieser enthielt aber kein Gemüse. Also fragte ich die Bedienung, die mir bestätigte, dass es sich um einen Burger aus Rindfleisch handelte.
Natürlich war ich sauer! Es ist nicht bloß das falsche Essen. Es ist ein Verstoß gegen Werte, die mir wichtig sind!
Ich möchte keine Tiere essen. Ich möchte nicht, dass sie für mich leiden und sterben müssen. Deshalb lebe ich ja seit 20 Jahren vegan.
Die Reste des Burgers ließ ich zurückgehen und wollte auch keinen Ersatz. Mir war der Appetit vergangen.
Der Bedienung habe ich ihren Schreck angesehen. Es war keine Absicht dabei.
Dennoch hab ich mich geärgert.
Ich habe früher selbst in Schlachthöfen dokumentiert, wie Rinder und Schweine getötet wurden. Ich kann mir also gut vorstellen, wie "mein" Burger hergestellt wurde. Aber ändern kann ich es nicht mehr.
Habe ich mir jetzt meine knapp 20 Jahre vegane Ernährung "zerstört"?
Ich schreibe diesen Text, weil ich das Gegenteil denke. Wenn wir uns klar machen, dass wir nicht perfekt leben können, werden wir langfristig erfolgreicher sein. Wir werden mehr für Tiere und Umwelt bewegen können, als wenn wir uns für jeden Fehler selbst bestrafen.
Und es war nicht mehr als ein Fehler. Und keineswegs der erste! Immer mal wieder hätte ich den Vegan-Zähler auf Null stellen müssen, wenn es mir um Perfektionismus gegangen wäre.
Immer wieder wurde mir so meine Fehlerhaftigkeit vor Augen geführt.
Deshalb habe ich mir schon vor längerer Zeit klar gemacht, worum es mir wirklich geht. Nicht egoistischer Stolz ist mein Ziel, sondern eine Lebensweise, die auf Dauer funktioniert und meinen Werten am meisten entspricht.
Es geht doch nicht darum, sich mit Anderen zu messen oder der "Vegan-Sieger" zu werden. Dabei würde man die eigentlichen Ziele schnell aus den Augen verlieren. Mir geht es um Ehrlichkeit mir selbst gegenüber.
Deshalb lebe ich vegan nach dem Pareto-Prinzip ("so gut es ohne übertriebenen Aufwand im Alltag klappt") - und lasse mich von Fehltritten nicht beirren.
Diesen Text schreibe ich, weil mir nun auch passiert ist, worüber manche Menschen verzweifeln: Ein ärgerlicher Fehler.
Kein Grund jedoch, an meinen Werten und meinem Weg zu zweifeln.
Veröffentlichung:
Autor: Kilian Dreißig