Ist die vegane Ernährung natürlich?
Immer wieder kommt bei Gesprächen über die vegane Lebensweise die Frage auf, wie natürlich Veganismus eigentlich ist. Menschen seien nicht dafür gemacht, vegan zu leben, heißt es manchmal sogar. Und tatsächlich gibt es einige Beispiele dafür, dass auch Veganer auf die moderne Landwirtschaft und weitere Vorteile der Zivilisation angewiesen sind.
Wie natürlich ist die vegane Ernährung also? Und ist Veganismus (un)natürlicher als andere Ernährungsformen?
Was bedeutet „natürlich“ überhaupt?
Wenn die Frage nach der Natürlichkeit einer Lebensweise gestellt wird, muss zunächst einmal geklärt werden, was mit „Natürlichkeit“ eigentlich gemeint ist. Definiert man „Natürlichkeit“ als Abwesenheit von menschlichen Einflüssen oder Zivilisation, wäre wohl keine moderne Lebensweise „natürlich“ möglich. Schon die Grundlagen der Landwirtschaft an sich sind unnatürlich.
Ein paar Beispiele:
- Die Landwirtschaft ist eine kulturelle Errungenschaft. Anbau, Lagerung und Verarbeitung von Lebensmitteln sind Errungenschaften der Menschheit.
- Die meisten Lebensmittel stammen von gezüchteten Tieren und Pflanzen, nicht von Mammuts oder bitteren Wurzeln oder Nüssen.
- Unsere Kulturlandschaft basiert auf massiven Rodungen. Es gibt kaum noch ursprüngliche Wälder.
- Entscheidungen zur Ernährung sind nur möglich, weil Menschen begannen, Vorräte zu sammeln und nicht mehr Tag für Tag um das eigene Überleben kämpfen müssen.
So wichtig eine intakte Natur und die Artenvielfalt auch sind – der Begriff „Natürlichkeit“ steht in dieser Diskussion oft für eine idyllische Vorstellung einer nachhaltigen, harmonischen und funktionierenden Welt, die so nicht existiert. Auch Autofahren (statt laufen), Einkaufen (statt jagen und sammeln) und in Häusern leben (statt in Höhlen) ist typisch menschlich und damit nicht natürlich.
„Natürlichkeit“ wird oft schöngeredet
Die Suche nach Nahrung und die Fortpflanzung als einziger Lebenszweck... Gewalt, Hunger und Mangelernährung, dazu eine sehr geringe Lebenserwartung – so sähe das Leben der Menschen ohne Zivilisation wohl aus. Ohne Zivilisation verlöre der Mensch die Möglichkeit, zu planen. Wenn der Tagesablauf instinktiv von Hunger, Überlebens- und Fortpflanzungstrieb geprägt ist, unterscheidet sich der Mensch in seinem Verhalten kaum von anderen Tieren.
Sind Menschen dazu gemacht, vegan zu leben?
Schnell wird deutlich: Bei der Frage nach der Natürlichkeit geht es auch darum, ob wir Menschen eigentlich „dafür gemacht wurden“, vegan zu leben. Es ist die selbe Frage wie die nach dem Sinn des Lebens. Die Entwicklung der Menchen hat immer bedeutet, sich zu verändern. Vielleicht ist es daher gar nicht so wichtig, „natürlich“ (also komplett ursprünglich), sondern „nachhaltig“ zu leben, damit auch in Zukunft Entwicklung möglich ist.
„Nachhaltig“ statt „natürlich“?
Die Entscheidung, vegan zu werden, wird häufig mit gesundheitlichen, ökologischen und ethischen Argumenten begründet. Viele Veganer sprechen sich für den Naturschutz aus und ernähren sich nicht nur ohne Tierprodukte, sondern ziehen auch biologisch produzierte und fair gehandelte Produkte vor. Eine vegane Ernährung schont die Ressourcen und ist deutlich umweltschonender als eine fleischbasierte Ernährung. Grund dafür sind die großen Mengen an Futtermitteln, die für die Tierproduktion angebaut und verfüttert werden müssen. Gentechnik, Urwaldzerstörung, Monokulturen – all dies steht mit einer konventionellen, omnivoren (fleischlastigen) und vegetarischen Ernährung in Verbindung.
Veganismus ist – wie jede andere moderne Lebensweise – im sehr strengen Wortsinn womöglich „unnatürlich“ und basiert auf den Errungenschaften der Zivilisation. Aus ökologischer Sicht ist die vegane Lebensweise deutlich nachhaltiger, als eine Ernährung auf Basis von Tierprodukten. Und: Veganismus ist ein Lebensstil, der sich an den modernen Gegebenheiten orientiert und damit aktuell und realitätsbezogen ist. Unsere Vorfahren mögen auf Tierprodukte angewiesen gewesen sein – die modernen Menschen sind es heute Dank ihrer Entwicklung nicht mehr.
Veröffentlichung:
Autor: Kilian Dreißig