Gefühllose Fleischesser? Warum Fleischesser genauso empathisch sind wie Veganer!

Wenn wieder ein Skandal aus der Tierindustrie ans Licht kommt, kann man in den sozialen Medien Kommentare lesen, denen zufolge Fleischesser eiskalt, grob und gefühllos wären.
Wenn Tiere leiden und sich Tierhalter trotzdem mit Tierwohl schmücken, wenn sich manche Fleischesser über Menschen lustig machen, denen das nicht vollkommen egal ist, dann treibt es manch einem die Tränen in die Augen! Entsetzen und Wut!
Das Herz schreit: Haben Fleischesser wirklich kein Mitgefühl? Wie kann man angesichts dieser Not nur so wegsehen!? Haben Fleischesser keine Seele?
Doch mal ganz sachlich: Sind Fleischesser nun empathisch? Oder mangelt es ihnen wirklich an Mitgefühl?
Sind Fleischesser einfach gefühllos?
Tatsächlich scheint es zwischen Veganern und Fleischessern keinen größeren Unterschied bei der Emotionalität zu geben. Ihr habt richtig gelesen: Fleischesser sind wahrscheinlich genauso emotional und empathisch wie Veganer. Jedenfalls im statistischen Durchschnitt.
Dass Fleischesser Fleisch essen, liegt wahrscheinlich meistens nicht an einem krankhaften Mangel an Empathie.
Wie kann das sein?
Epidemiologische Studien haben gezeigt, dass etwa 20–25 Prozent der Bevölkerung zu einem bestimmten Zeitpunkt eine psychische Erkrankung haben. Jeder einzelne Bürger hat ein 40-50-prozentiges Risiko, im Laufe seines Lebens psychisch zu erkranken!
Da Fleischesser in der Mehrzahl sind, sind auch mehr von ihnen psychisch erkrankt. Das sagt aber nichts zur Empathie aus.
Die am meisten verbreiteten Erkrankungen wie Depression, Angst- oder Zwangsstörungen haben nicht mal ein Empathie-Defizit.
Mangels belastbarer Daten kann man wohl annehmen, dass Veganer und Fleischesser genauso häufig unter einer psychischen Erkrankung leiden. Und dass das nicht zu einem Mangel an Empathie führt. Jedenfalls gibt es keinen belastbaren Hinweis, dass Fleischesser pauschal weniger empathisch wären als Veganer.
Warum Fleischesser und Veganer
Es scheint mir vorstellbar, dass es bei Schlachthofbetreibern und Jägern mehr Sadisten gibt, die Tiere quälen, weil sie mehr Gelegenheit dazu haben. Belegt ist das aber nicht.
Allerdings können Randgruppen wie die vegane Bewegung (und insbesondere deren militante Abspaltungen) ebenfalls Menschen anziehen, die nach Sinn und Identität suchen. Dann kann vegane Ernährung ihrerseits eine Stütze für eine bedürftige Seele werden. Auch das nur eine These.
Kurzum: Aus Zahlen zur Verbreitung psychischer Krankheiten lässt sich keine Antwort auf unsere einleitende Frage nach dem Vorhandensein von Empathie bei Fleischessern finden. Zumal eine psychische Störung keineswegs bedeuten muss, dass man kein Mitgefühl hat.
Tatsächlich zweifle ich nach 24 Jahren veganer Ernährung an der These, dass Fleischesser eiskalte Monster wären. Und das aus mehreren Gründen:
- Weil ich ein Ex-Fleischesser bin. Ich habe früher gerne Fleisch gegessen und erinnere mich, wie ich mit unserem Kater geschmust oder mit den Kaninchen gespielt habe. Ich sah mich als echten Tierfreund. Wie man Milch erzeugt, wusste ich von vielen Sommerferien auf einem Milchbauernhof. Im Nachhinein war mir ein freundlicher Umgang mit meinen Mit-Lebewesen immer wichtig. Ich hätte niemals unseren Kater oder die Kaninchen verzehrt. Fleischkonsum ging bei mir nur, solange ich mich auf abstrakte Begründungen und Versprechungen verließ.
- Weil die meisten Veganer ehemalige Fleischesser sind. Aufgeschlossene Fleischesser sind die Pioniere der Zukunft. Fast jeder Veganer, den ich kenne, ist ein Ex-Fleischesser, der erkannt hat, dass er verdrängt. Und der genug Mut hatte, seine Ernährung zu ändern, trotz Gruppenzwang im Umfeld. Aufgeschlossenheit und Selbstreflexion sind die entscheidenden Punkte. Nicht Empathie.
- Wären Fleischesser emotional eiskalt, bräuchte es die Methoden der Ablenkung nicht. Tierwohlversprechen, Gütesiegel und Fotos von Bauern, die niedliche Schweine streicheln... wir kennen alle die Methoden, mit denen die Tierindustrie uns Verbrauchern weismacht, wie gut es den Tieren geht. Wären Fleischesser emotionslos, bräuchte es all das nicht. Die Tierindustrie könnte auf Alarmanlagen, Stacheldraht und inszenierte Transparenz verzichten – denn das Leid der Tiere wäre ihren Konsumenten wirklich egal. Sie könnten sich Dokumentationen wie "Earthlings" oder "Dominion" ansehen, ohne mit der Wimper zu zucken.
- Weil die Tierindustrie Transparenz um jeden Preis vermeidet. Schlachthöfe, die mit Transparenz werben, aber nur ausgewählte Pressevertreter einladen? Der beste Beweis! Sie wollen keinen unmittelbaren Einblick. Sie verhindern ihn. Weil ihre Zielgruppe eben nicht empathielos ist.
Aus diesen Gründen bin ich mir sicher, dass Fleischesser keine empathielosen Killer sind. Und natürlich aus dem täglichen Umgang mit Fleischessern im Freundes- und Bekanntenkreis. (Ausnahmen gibt es trotzdem, denn Schätzungen zufolge haben 1-5 % der deutschen Bevölkerung eine psychische Störung aus dem Kreis der "Dunklen Triade". Einigen Menschen dürfte es tatsächlich Spaß machen, Tiere und Menschen zu quälen.)

Und was ist mit den verstörenden Gewalt-Kommentaren auf Facebook und Co?
Die meisten verächtlichen Kommentare kann man wohl mit dem Wunsch nach Geltung am besten begründen. Wer Veganer in Kommentarspalten verspottet, erhofft sich dadurch ein wenig Aufmerksamkeit aus der eigenen Bubble. Der härteste Kommentar gewinnt! (Etwas, das bei radikalen Vegan-Aktivisten wahrscheinlich ähnlich abläuft, nur als Hass gegen Fleischesser.)
Heute bin ich überzeugt, dass nicht Beschimpfung, Beleidigung oder Belehrungen etwas bewirken – sondern echte Transparenz in der Tierindustrie. Zusammen mit dem Mut, sich zu behaupten, wo das Umfeld am liebsten wegschaut.
Ja zur Veröffentlichung von Bildern aus Schlachthöfen, Mastbetrieben und Tiertransportern. Tierschutz ist ein Allgemeininteresse. Niemand sollte sich darauf berufen dürfen, dass die Bilder "schockierend" seien – wo sie doch die Realität abbilden.
Beim Tierschutz dürfen Privatinteressen niemals über dem Recht auf Information liegen.
Damit jeder sich selbst ein Bild verschaffen kann. Dieses Wissen ist die Voraussetzung für informierte Entscheidungen.
Das emotionale Rüstzeug dafür ist in jedem von uns verankert. Meistens.
Unser überraschend schwerer Vegan-Test zeigt, worauf es beim Vegan-Umstieg wirklich ankommt. Empathie spielt nur eine Nebenrolle!
Veröffentlichung:
Autor: Kilian Dreißig