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Bauern klagen gegen Pestizid-Kritiker: Gefängnisstrafe für Aktivisten?

Glänzende Äpfel
Der Anbau von Äpfeln erfolgt oft unter Einsatz chemischer Pestizide (Symbolbild). Bild: pixabay.com (bearb.)

Agrar-Politiker und Obstbauern aus dem italienischen Südtirol überziehen Pestizid-Kritiker mit Klagen. Anlass: Das Verbot von Pestiziden in der Gemeinde Mals und offenbar auch die kritische Berichterstattung dazu.

Morgen beginnt in Bozen (Italien) der erste Strafgerichtsprozess gegen einen Mitarbeiter des Umweltinstituts München (UIM) [1] und den Buchautor und Filmemacher Alexander Schiebel. Einem Gerichtsverfahren sieht offenbar auch der Verleger Jacob Radloff vom oekom-Verlag entgegen.

Ihnen wird üble Nachrede auf Kosten der konventionellen Südtiroler Landwirte vorgeworfen. Es drohen immens hohe Schadensersatzforderungen, sowie Haft- und Geldstrafen!

Die Beklagten hatten über den massiven Einsatz von Pestiziden in Obstplantagen in Südtirol - und insbesondere in der Gemeinde Mals - berichtet. Eine Rolle spielt wohl auch das Buch "Das Wunder von Mals", das im oekom-Verlag erschienen ist. [2]

Das Buch berichtet über den Pestizid-Einsatz in Mals, beleuchtet die Gesundheitsgefahren des Pestizid-Einsatzes (bis zu 20 mal pro Jahr und Plantage) und porträtiert jene Menschen, die versucht haben, die Pestizide aus ihrer Gegend zu verbannen - und damit erfolgreich waren. Zunächst.

In einem Referendum von 2014 hatten sich 76% der Wähler in Mals für ein Verbot von Pestiziden in der Gemeinde ausgesprochen! [3] Aus gesundheitlichen Gründen und zum Schutz der Umwelt.

Was für ein Sieg gegen die schier übermächtigen Agrarverbände! Gegen die Wolken von Insektiziden und Fungiziden, die offenbar auch noch Kilometer entfernt auf biologisch bewirtschafteten Feldern - und auch auf Spielplätzen - nachzuweisen waren.

Doch mit dem Pestizid-Verbot ist seit letztem Jahr Schluss. Das Verwaltungsgericht Bozen hatte den Beschluss der Gemeinde aufgehoben - mit der Begründung, dass die Gemeinde dafür nicht zuständig sei, da Umweltfragen vom Staat zu entscheiden seien.

Gefängnisstrafe für Pestizid-Kritik?

Jetzt fordert ein Lokalpolitiker - und eine Heerschar von Industrie-Bauern (das Umweltinstitut München spricht von mehr als 1.300 Landwirten! [4]) - offenbar Schadensersatz in Millionenhöhe. Den Beklagten drohen zudem Haft- und Geldstrafen. [4]

Umweltverbände sprechen angesichts der Klagewelle von einem massiven Angriff auf die Pressefreiheit. Dieses Vorgehen entspreche einer in Europa immer häufiger angewendeten Strategie, kritische Aktivisten und Journalisten mundtot zu machen.

Verbände wie der BUND, der WWF, die Klima-Allianz Deutschland und der Deutsche Naturschutzring kritisieren das Vorgehen von Politik und der klagenden Bauern scharf:

"Wir erklären uns solidarisch mit den Angeklagten und sind entsetzt über die Klage", schreiben sie. Man verurteile Versuche, Kritiker per Anzeigen und Klagen "mundtot" zu machen, "aufs Schärfste". [5]

Für den Verlagsgründer Jacob Radloff (Oekom-Verlag) sind Beschimpfungen an sich nichts Neues. Neu ist, dass er als Verleger wohl ebenfalls vor Gericht gezogen werden soll. Das sei in der 30-jährigen Geschichte des Verlags einzigartig.

In einem Interview auf der Verlagsseite befürchtet er immer mehr Versuche von Einschüchterung kritischer Stimmen und voreilenden Gehorsam aus Angst vor möglichen juristischen und wirtschaftlichen Konsequenzen. [3]

Erst kürzlich habe eine Studie der Universität Amsterdam nachgewiesen, dass Umweltengagierte und kritische Journalisten zunehmend von Unternehmen und Politikern mit Klagen eingeschüchtert würden.

Meine Meinung:
Wir dürfen niemals vergessen, dass Meinungs- und Pressefreiheit bitter erkämpft wurden und keine Selbstverständlichkeit sind. Sie muss permanent verteidigt werden. Jeder Versuch, die Presse- und Meinungsfreiheit einzuschränken, muss zum Scheitern verurteilt sein.

Dazu bedarf es einer kritischen Öffentlichkeit, die den Wert eines demokratischen Austauschs wertschätzt und zu verteidigen weiß!

Zugleich sind die skandalösen Klagewellen in Südtirol die beste Werbung für Lebensmittel aus Bio-Landwirtschaft. Denn als Verbraucher muss man sich auch an die eigene Nase fassen. Wer konventionelle Äpfel kauft, muss wissen, was damit zusammenhängt. Und viele Äpfel in deutschen Supermärkten stammen aus Südtirol!

Es geht auch anders! Erst kürzlich haben wir über drei bio-vegane Obstbauern vom Bodensee berichtet.

Korrektur vom 14.9.2020: Wir haben den Artikel überarbeitet und verdeutlicht, wer bereits verklagt wurde und wer von einer Klage bedroht wird.

Update vom 16.9.2020

Die Medienberichten zufolge soll der Regionalpolitiker seine Anzeige zurückgezogen haben. Laut Umweltinstitut München e. V. liegt eine offizielle Bestätigung darüber nicht vor, daher bestehe noch kein Grund zur Freude. Zudem müssten auch alle weiteren 1.600 Anzeigen der Nebenkläger zurückgezogen und der Prozess durch das Gericht beendet werden. [6]

Ein weiterer Prozess gegen eine angebliche Markenverletzung ist wohl noch anhängig. Das Umweltinstitut München hatte mit einem Satire-Plakat gegen den Pestizid-Einsatz in Tirol protestiert, das stilistisch an die Tiroler Tourismus-Plakate erinnert [7]. Dies wird von der Gegenseite offenbar als Markenrechtsverletzung gedeutet.

Veröffentlichung:

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Klagewelle gegen Pestizid-Kritiker
Letzter Beitrag: 16.09.2020, von Sunjo.

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4,2/5 Sterne (5 Bew.)
AUTOR: KILIAN DREIßIG
Vegane Lebensweise vereint Klimaschutz, Tierschutz und Lebensqualität. Gründe genug, mich als Journalist damit zu beschäftigen.

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