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Vegane Politik: Hat Didem Aydurmuş und Die Linke einen Plan?

"Linke"-Vorständin Didem Aydurmuş im Gespräch über veganfreundliche Politik.
"Linke"-Vorständin Didem Aydurmuş im Gespräch über veganfreundliche Politik. Bild: K/Vegpool

Was macht veganfreundliche Politik aus? Gibt es so etwas überhaupt? Und was bedeutet das aus Sicht vegan lebender Politiker?

In einer losen Serie wollen wir zeigen, was sich in verschiedenen Parteien im Veganbereich bewegt.

Auf meiner Recherche bin ich auch auf Dr. Didem Aydurmuş (39) aufmerksam geworden. Die Politikerin gehört dem 26-köpfigen Parteivorstand der Partei "Die Linke" an, engagiert sich für Tierrechte und lebt seit 2017 vegan.


Wir treffen uns Anfang August in der Zentrale der "Linken", dem Karl-Liebknecht-Haus, in der Nähe vom Alexanderplatz. Ein geschichtsträchtiges Bürogebäude mit langen, düsteren Gängen und glänzenden PVC-Fußböden.

Didem Aydurmuş begrüßt mich, als Veganer sind wir per Du. Sie muss erst noch ein Buch im kleinen Buchlädchen abholen. Es trägt den Titel "Queere Tiere". Einen Moment lang kommt es mir unwirklich klischeehaft vor.

Anschließend suchen wir uns ein ruhiges Plätzchen, um uns zu unterhalten. Wir landen in einem tristen Arbeitsraum im Obergeschoss, mit ein paar PC-Arbeitsplätzen.

Wenn man die einfachen Sessel zurück kippt, kann man sich gemütlich hinein fläzen. So diskutieren wir eine Stunde über Veganismus und seine politischen Dimensionen.

Die Situation erinnert mich an vergangene Zeiten im Tierrechts-Aktivismus: Intellektuell fordernd, aber auch reichlich abstrakt.

Didem Aydurmuş erzählt, dass sie ehrenamtlich im Vorstand der Linken aktiv sei. Ihren Lebensunterhalt verdiene sie, die Politikwissenschaftlerin mit Doktortitel, als Dozentin an einer Hochschule. Die Partei nehme keine Spenden von Unternehmen an und zahle ihr daher auch kein Gehalt.

Es reicht also zum Leben, für viel mehr aber nicht. Offensichtlich geht es ihr um die Sache. Und zwar mit Anlauf.

In der Türkei, erzählt Aydurmuş, habe sie 2013 im Hippie-Kleid Seifenblasen auf grimmig dreinblickende Polizisten gepustet, um gegen Menschenrechtsverstöße zu protestieren. Die symbolträchtigen Fotos gingen durch die Weltpresse.

In türkischer Untersuchungshaft hat sie ihr letztes Käse-Wurst-Brötchen gegessen. Danach wurde sie Vegetarierin.

Es ist ihr ein bisschen peinlich, dass sie erst 2017 Veganerin geworden sei, sagt sie. "Man hätte mir da ruhig früher ins Gewissen reden können".

Das Auftreten der Militanten Veganerin, die genau das für Youtube filmt, ist ihr aber zu wenig empathisch. "Man muss auch das Menschliche im Gegenüber sehen".

Linke Politik sei Wertepolitik ohne falsche Kompromisse, sagt Aydurmuş, und das gelte ihrer Meinung nach auch für Veganismus. Ihrer Meinung nach ist Veganismus links.

Ich verspüre Unbehagen, möchte Veganismus unwillkürlich in Schutz nehmen vor politischen Labels.

Braucht man für gute Aufklärungsarbeit nicht eine Sprache, die ankommt, frage ich. Ein wärmendes Bauchgefühl, damit es nicht so theoretisch, so weltfremd, so "links" wirkt?

Ich denke dabei an das 95%-Vegan-Prinzip auf Vegpool - und auch daran, dass ich aufgehört habe zu gendern, wegen der Nebendebatten.

Aydurmuş scheint von Wohlfühl-Populismus nicht so begeistert. Populismus führe schnell dazu, die eigenen Werte zu verraten. Oft könne man versteckte Folgen von "effizienten" Strategien nicht abschätzen. Kompromisse sollte man nur machen, wenn man seine rote Linie klar vor Augen habe.

Deshalb ist sie auch beim Veganismus wenig kompromissbereit und will auch "kein Beichtstuhl sein" für Menschen, die behaupten, nur noch ganz wenige Tierprodukte zu essen. Sie erteilt keine Absolution.

Inspiration und Vorleben reichen ihr nicht aus. "Vorbildhaftigkeit kann man zu leicht ausblenden, doch das System muss sich ändern!"

Für Aydurmuş bedeutet konsequente Politik aber nicht, deshalb unfreundlich zu sein. Sie kämpft, wie sie sagt, mit einer "herzlichen Radikalität".

Bisschen Phrase kann sie also doch!

Um sich für eine veganfreundlichere Welt einzusetzen, sollte man unbedingt Mitglied in einer Partei werden, empfiehlt Aydurmuş. Wenn es nur um Effizienz ginge, sei sogar fast egal, welche.

Eine Steuer auf Tierprodukte oder eine Bevorzugung von Obst und Gemüse hält Aydurmuş indes für "Kleine-Pflaster-Politik".

Wenn der Preis für eine Gurke ohnehin zwischen 59 Ct und 1,99 Euro schwanke, würden 7% weniger Mehrwertsteuer keinen großen Unterschied machen. Das sei "Pille-Palle".

Stattdessen sei es wichtiger, bei den öffentlichen Geldern und Subventionen anzufangen, echte Kontrollen in den Ställen einzuführen, vorhandene Tierschutzgesetze wirksam zu vollziehen und Futterimporte zu verbieten.

Sie plädiert für einen "Kartoffeldeckel", eine Art Preisbremse für bestimmte, pflanzliche Lebensmittel, damit Menschen ihr Menschenrecht auf bedarfsdeckende Ernährung wahrnehmen können. Auch der "Spiegel" hat schon darüber berichtet. Das Papier stellt sie auf ihrer Website zum Download bereit.

Die "Linke" fordert seit einiger Zeit ein freiwilliges Ausstiegsprogramm für Tierhalter, erklärt Aydurmuş ein bisschen stolz, denn auch sie hat an der Beschlusslage mitgewirkt.

Allzu optimistisch wirkt sie indes nicht. Möglicherweise ende die Massentierhaltung erst, wenn die Preise für Wasser zu hoch seien, sagt sie, und das klingt bitter. Man hat es schließlich kommen sehen.

Trotzdem will Didem Aydurmuş weiterkämpfen. Schon deshalb, weil sie es als Privileg sieht, sich für Veränderung einsetzen zu können. "Für alle, die es nicht selbst können".

Aufgeben kommt also nicht in Frage.

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4,8/5 Sterne (24 Bew.)
AUTOR: KILIAN DREIßIG
Vegane Lebensweise vereint Klimaschutz, Tierschutz und Lebensqualität. Gründe genug, mich als Journalist damit zu beschäftigen.

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