DGE-Position: "Vermischung von wissenschaftlichen Fakten und Vorurteilen"
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) hat ihre bisherige, sehr kritische Position gegenüber der veganen Ernährung überarbeitet. Heraus gekommen ist ein Positionspapier, das zwar durchaus die Vorteile einer veganen Ernährung auflistet (und entsprechende Studien nennt), im Fazit aber weiterhin vor allem auf mögliche Mängel hinweist und vor veganer Ernährung eher warnt. Zu Unrecht, wie der Psychologe Dr. Gebauer von vegan.eu findet. Wir haben ihn um eine Stellungnahme zur Stellungnahme gebeten.
Vegpool: Herr Dr. Gebauer, sind Sie eher froh oder traurig über die neue Stellungnahme der DGE zur veganen Ernährung?
Dr. Gebauer: Froh bin ich darüber, dass die DGE in dem Inhaltsteil ihrer Stellungnahme erstmals ausführlich auch die Vorteile einer veganen Ernährung referiert, einschließlich der besseren Versorgung in zahlreichen Nährstoffen. Außerdem gesteht die DGE immerhin ein, dass eine vegane Ernährung gesünder ist als die derzeit durchschnittliche praktizierte Ernährung. Ebenfalls zitiert die DGE aktuelle Studien, die zeigen, dass eine gut geplante vegane Ernährung in der Schwangerschaft sicher ist und Säuglingsnahrung auf Sojabasis eine geeignete Ernährung ist. Ebenfalls erwähnt die DGE erstmals Stellungnahmen weltweit führender ernährungswissenschaftlicher und auch kinderärztlicher Vereinigungen, die eine gut geplante vegane Ernährung auch für Stillzeit, Schwangerschaft und Kindheit für geeignet halten. Traurig bin ich darüber, dass die DGE in ihren zusammenfassenden Empfehlungen ausführt, dass sie eine vegane Ernährung von Schwangeren, Stillenden, Kindern und Jugendlichen aufgrund des Risikos von Nährstoffdefiziten nicht empfehle. Dies ist unverständlich.
"DGE setzt sich über die selbst zuvor referierten Fakten hinweg"
Vegpool: Kurz zusammengefasst: Was kritisieren Sie konkret?
Dr. Gebauer: Die DGE setzt sich in ihren zusammenfassenden Empfehlungen über die durch sie selbst zuvor referierten Fakten hinweg und erklärt, dass sie eine vegane Ernährung in Schwangerschaft, Stillzeit, Kindheit und Jugendzeit nicht empfehle. Dabei gibt die DGE im Inhaltsteil - dies ist zu loben - Empfehlungen, wie eine gute Versorgung in allen Nährstoffen bei veganer Ernährung möglich ist. Diese Hinweise sind selbstverständlich auch in Schwangerschaft, Stillzeit, Kindheit und Jugendzeit anwendbar. Außerdem ignoriert die DGE in ihrer Zusammenfassung komplett die im Inhaltsteil der Stellungnahme benannten Fakten, dass eine vegane Ernährung bei vielen Nährstoffen zu einer besseren Versorgung führt und auf jeden Fall gesünder ist als die gegenwärtig typischerweise praktizierte Ernährung.
Die DGE übertreibt gleichzeitig bei weitem die Schwierigkeit, eine angemessene Vitamin B12-Versorgung durch Supplementierung sicherzustellen, und erzeugt dadurch den fälschlichen Eindruck, eine vegane Ernährung wäre besonders kompliziert. Auch der Inhaltsteil ist kritikwürdig, aber es klafft vorallem eine große Lücke zwischen dem Inhaltsteil und der Zusammenfassung. Leider ist aber zu erwarten, dass in den Medien vorwiegend die Zusammenfassung rezipiert werden wird. Vorzuwerfen ist der DGE ebenfalls, dass sie sich nicht die Mühe gemacht hat, zu erklären, wieso sie zu einer kritischeren Einschätzung der veganen Ernährung gelangt als verschiedene international renommierte ernährungswissenschaftliche und kinderärztliche Fachverbände.
Vegpool: Das klingt so, als würde die DGE anti-vegane Vorurteile in die Welt setzen... Warum sollte sie das tun?
Dr. Gebauer: Nach meiner Einschätzung muss in der Tat davon ausgegangen werden, dass bei den Verfassern der Stellungnahme Vorurteile gegenüber der veganen Ernährung bestehen. Anders kann ich es mir auch als Psychologe nicht erklären, dass eine so große Lücke klafft zwischen dem Inhaltsteil der eigenen Stellungnahme und der Zusammenfassung. In der Zusammenfassung lässt die DGE plötzlich alle positiven Aspekte in Bezug auf die vegane Ernährung unter den Tisch fallen. Tatsächlich warf vor Kurzem der Mitverfasser und Präsident der DGE veganen Eltern in einem Interview quasi vor, ihre Kinder zu malträtieren - dies ist nach meiner Ansicht Beleg für das Vorliegen eines klassischen Vorurteils. Es ist daher wahrscheinlich, dass die zusammenfassenden Empfehlungen der DGE aus einer Vermischung von wissenschaftlichen Fakten und Vorurteilen entstanden sind.
"Die Fakten sprechen eine andere Sprache als die Zusammenfassung"
Vegpool: Ganz ehrlich: Könnte es sein, dass Sie als Veganer einfach die Fakten nicht wahrnehmen möchten? Die DGE ist doch eine wissenschaftlich arbeitende und neutrale Institution...
Dr. Gebauer: Die Fakten werden ja durchaus zu einem beachtlichen Teil in der DGE-Stellungnahme erwähnt, sprechen aber eine andere Sprache als die Zusammenfassung. In der Vergangenheit hat die DGE sich bezüglich der veganen Ernährung sicherlich nicht mit Ruhm bekleckert. Die alte DGE-Stellungnahme enthielt noch eine dezidierte Warnung vor der veganen Ernährung von Schwangeren, Stillenden und Kindern. Dabei zog die DGE für ihre negative Abqualifizierung der veganen Ernährung sogar Studien aus Hungerländern, Studien zur Makrobiotik und Studien mit Personengruppen, die zahlreiche pflanzliche Lebensmikttel verboten, mit heran. Potentielle gesundheitliche Vorteile einer veganen Ernährung blieben unerwähnt und die positiven Stellungnahmen anderer Fachverbände wurden ignoriert.
Es resultierte eine geradezu katastrophal einseitige und letztlich denunziatorische Stellungnahme, die mit den Fakten kaum noch etwas zu tun hatte und sich eignete, um Diskriminierung veganer Kinder zu legitimieren, z.B. durch Essensverweigerung in Kindertagesstätten. Mindestens bezüglich der veganen Ernährung hat es der DGE also in der Vergangenheit fraglos an Neutralität und Wissenschaftlichkeit gefehlt. Über die Gründe hierfür möchte ich nicht spekulieren. In der aktuellen Stellungnahme hat die DGE eine Korrektur vorgenommen, die aber noch nicht ausreichend ist.
Vegpool: Was sollte die DGE Ihrer Meinung nach verbessern?
Dr. Gebauer: Die DGE sollte den wissenschaftlichen Forschungsstand anerkennen, der zeigt, dass eine gut geplante vegane Ernährung für alle Entwicklungstufen des Menschens, einschließlich Schwangerschaft, Stillzeit und Kindheit, geeignet und gesund ist. Anstatt die Schwierigkeiten einer gesunden veganen Ernährung zu übertreiben, sollte die DGE noch dezidiertere Essenspläne für Schwangerschaft, Stillzeit und Kindheit herausarbeiten. Außerdem sollte die DGE einen globaleren Standpunkt einnehmen, der die Auswirkungen unserer Ernährung auf die Umwelt und die weltweite Ernährungssicherheit berücksichtigt. Studien zeigen, dass die vegane Ernährung die umweltverträglichste Ernährung ist und am ehesten dazu geeignet ist, die weltweite Ernährungssicherheit nachhaltig zu verbessern und so den Welthunger zu überwinden. Auch dies sollte für eine ernährungswissenschaftliche Gesellschaft von Interesse sein.
Das neue Positionspapier der DGE zur veganen Ernährung finden Sie auf der Website der DGE.
Die ausführliche Stellungnahme von Dr. Gebauer zur neuen DGE-Position finden Sie auf vegan.eu.
Veröffentlichung:
Autor: Kilian Dreißig