Diese Kuh wäre ebenfalls gern eine freilaufende Löwin in Berlin [Kommentar]
Eine Löwin läuft in Berlin frei herum. Polizei, Jäger und Tierärzte verfolgen sie. Die Medien berichten ununterbrochen und viele Menschen fiebern mit dem Wildtier mit. Einerseits ängstlich, andererseits aber auch voller Mitgefühl!
Und es gibt so viele Fragen! Woher kommt die Löwin? Ist sie gefährlich, oder braucht sie Schutz?
Eine Kuh, irgendwo in Bayern, in Anbindehaltung und den ganzen Sommer noch nicht draußen gewesen, wäre jetzt ebenfalls gerne in dieser Situation.
Klar, es mag sein, dass die Löwin abgeschossen wird. Es kann sein, dass sie betäubt wird und in ein Gehege gebracht wird. So oder so: Ihre Chancen stehen wohl nicht allzu gut, angesichts der Tatsache, dass sie nun mal ein Raubtier ist - und mit Blick auf die geballte Staatsgewalt.
Und doch sind ihre Chancen viel besser als die der Kuh!
Die Kuh wird wird sicher getötet werden. Noch einige Monate oder gar Jahre wird sie in derselben Bucht des Stalls stehen, umgeben von Geräuschen einer Umwelt, die sie nie wird erkunden können.
Für sie gibt es zwei Schritte vor, zwei Schritte zurück und sonst nicht allzu viel mehr.
Der Dank am Ende ihres Lebens (74.000 Liter Kuhmilch): Ein Bolzen ins Gehirn.
Nicht mal eines von 4 Kälbchen konnte sie aufziehen - alle wurden ihr gleich nach der Geburt weggenommen. Die Milch sollte schließlich an die Molkerei gehen, nicht ans Kalb.
Niemand nimmt Anteil mit ihr und ihrem Trauma. Sie ist ja "bloß ein Nutztier". Ihr Leid ist gewöhnlich und langweilig. Langweilig für Menschen.
Niemand schert sich um eine Milchkuh in Bayern, während in Berlin eine Löwin frei herumläuft.
Ginge es um Tierschutz, würden die Menschen mit einer Kuh in Bayern genauso mitfiebern wie mit einer wilden Löwin in Berlin. Sie würden aufhören, beim tagtäglichen Leid der Tierhaltung wegzusehen. Würden aufhören, Ausflüchte zu suchen. Würden Charakter zeigen und Rückgrat. Und eine Entscheidung treffen. So gut es im Alltag geht.
Ein vorher anonymes Raubtier wird nun plötzlich als Individuum wahrgenommen. Jetzt können sich Menschen mit ihm identifizieren, mitfühlen und sich als Tierfreunde fühlen. Wer denkt da schon an eine Kuh in Bayern?
Ja, liebe Kuh, wir würden dir dieselbe Aufmerksamkeit wünschen, die der Löwe in Berlin bekommt. Dass wenigstens ein paar Menschen auch an dich denken - und an ihre eigene Verantwortung.
Veröffentlichung:
Autor: Kilian Dreißig