Wenn Veganismus zur Essstörung wird
Für die meisten Veganer ist die vegane Ernährung eine Bereicherung. Die Beschäftigung mit der eigenen Ernährung führt häufig dazu, dass sich Veganer – praktisch wie von selbst – gesünder und ausgewogener ernähren. Doch für manche Menschen ist die Beschäftigung mit der eigenen Ernährung ein regelrechter Zwang. Gerade weniger verbreitete Ernährungsformen werden mithin als „Begründung“ für ein gestörtes Essverhalten gewählt. Wie jede Ernährungsform kann sich auch der Veganismus zur Essstörung entwickeln.
Die Beschäftigung mit der eigenen Ernährung ist an für sich eine gute Sache. Viele Aspekte sind zu beachten, wenn man sich gesund, nachhaltig und tierfreundlich ernähren möchte. Insbesondere während der Ernährungsumstellung ist es daher ganz normal, dass man sich – mit viel Neugier und Begeisterung – über Lebensmittel und neue Rezepte informiert. Wichtigste Regel dabei: Die Ernährung soll genussvoll sein und einen nicht unter Zwang setzen.
Wie erkennt man eine Essstörung?
Eine „unnormale“ Ernährung ist noch lange kein Zeichen für eine Essstörung. Wer sich gerne besonders gesund ernährt und sich für seine Ernährung interessiert, ist nicht automatisch essgestört.
Betroffenen ist oft nicht bewusst, dass sie unter einer Essstörung leiden. Sie beschäftigen sich oft stundenlang mit ihrer Ernährung, prüfen Lebensmittel penibel auf Nährstoffgehalte oder mögliche Mängel (auch z. B. Hilfsmittel bei der Erzeugung). Die Gründe für die intensive Beschäftigung klingen dabei durchaus „rational“ – doch sie lassen kaum andere Gedanken zu („Zutat X macht fett“, „Vielleicht sind doch Tierprodukte enthalten?“, ...). Meist sind Menschen mit einem geringen Selbstwertgefühl oder gestörter Emotionsregulation betroffen.
Wann wird Veganismus zur Essstörung?
Eine Essstörung unterscheidet sich von einem gesunden Essverhalten dadurch, dass sie zwanghaft und enorm anstrengend ist. Menschen mit einer Essstörung sind regelrecht getrieben. Haben sie ein „gutes“ Lebensmittel gefunden, währt die Freude meist nur kurz, denn sie finden schon nach kurzer Zeit einen weiteren Grund, warum dieses Lebensmittel nicht konsumiert werden „darf“.
Wichtige Zeichen für eine Essstörung sind zum Beispiel:
- Tägliche, stundenlange, intensive Beschäftigung mit der eigenen Ernährung, wobei es in erster Linie um Vermeidung bestimmter Zutaten / Produktionsbedingungen geht.
- Oft ein sehr negatives Selbstbild, geringes Selbstbewusstsein, Unzufriedenheit mit dem eigenen Äußeren („Körperdysmorphe Störung“).
- Vollständiger Verzicht auf Genussmittel, oder aber „Fressattacken“ mit anschließendem Reuegefühl, oft auch mit selbst herbeigeführtem Erbrechen.
- Sozialer Rückzug, kaum Genuss beim Essen in gesellschaftlicher Runde.
Vegane Ernährung bei einer Essstörung?
Die vegane Lebensweise hat viele gesundheitliche, ökologische und ethische Vorteile. Doch Menschen mit einer Essstörung neigen dazu, sich damit selbst unter enormen Zwang zu setzen. Oft wird den Betroffenen erst in einer Psychotherapie bewusst, welche unterbewussten Mechanismen hinter dem übermäßigen und belastenden Interesse an der Ernährung stecken. Eine Psychotherapie kann dabei helfen, die Mechanismen zu begreifen und Wege zu einer genussvollen, vielfältigen und gesunden Ernährung aufzeigen.
Eine Essstörung schließt eine vegane Ernährung nicht grundsätzlich aus. Für die eigene Lebensqualität und Gesundheit ist es aber wichtig, die Ernährungs-Entscheidung aus freien Stücken und nicht aus einem Zwang heraus zu treffen. Nur so kann die vegane Ernährung wirklich mit Genuss gelebt werden.
Eine wissenschaftliche Studie zum Thema Vegetarismus und Essstörungen ist hier online abrufbar (englisch).
Veröffentlichung:
Autor: Kilian Dreißig