Psychologie: Deshalb retten wir weniger Tiere, als wir könnten!

Vorsorge rettet Leben – doch sie ist auch richtig langweilig. Und weil uns Prävention so gar nicht aufrüttelt, sprechen manche Experten gar von der "Tragik der Prävention".
Unser Gehirn boykottiert uns regelrecht, wenn es darum geht, möglichst viel Leid zu verhindern. Doch es gibt Auswege.
Stellt euch vor: Auf einem Schlachthof tritt ein Defekt an einer Laderampe auf. 500 Schweine rennen in heller Aufregung durch das Gebäude. Zweien gelingt es, das abgezäunte Gelände zu verlassen. Tierschützer bringen sie ins Tierheim.
Journalisten geben den jungen Schweinen einen Namen: Fred und Rosa. Es gibt Porträts vor Ort, sogar eine Kolumne. Als der Schlachthof die Tiere zurückfordert, kommt es zu Protesten.
Die Öffentlichkeit nimmt Anteil am Glück der Schweine. Das Tierheim versinkt in Spendengeldern. Eine wahnsinnig berührende Geschichte!
Ihre 498 genauso süßen Artgenossen wurden eingefangen und getötet. Doch davon hat niemand etwas mitbekommen. Es war eben der Normalfall.
Szenenwechsel.
Sabine organisiert ehrenamtlich Kurse rund um eine pflanzliche Ernährung. Sie zeigt Filme, geht auf Ernährungsfragen ein und hilft ihren Nachbarn dabei, gesünder zu essen.

Sabine ist weder besonders bekannt, noch sind ihre Kurse spektakulär. Es ist einfach das, was sie als Privatperson in ihrer Freizeit hinbekommt.
Weil Nachbar Rolf (46) merkt, wie gut es ihm tut, Tierprodukte zu reduzieren, isst er fortan weitestgehend vegan. Bis an sein Lebensende werden so 20 Schweine weniger getötet. Dazu kommen etliche Hühner und – rechnerisch – eine halbe Kuh.
Nachdem ihm sein Arzt bessere Gesundheitswerte attestiert hat, geht Rolf bewegt zu Sabine und dankt ihr aufrichtig.
Kursleiterin Sabine ist jetzt so richtig motiviert. Innerhalb eines Jahres gelingt es ihr, 20 Menschen von den Vorzügen einer pflanzenbetonten Ernährung zu überzeugen. Rechnerisch rettet sie 400 Schweine (und viele weitere Tiere).
Sie beschließt, ihr Hobby nebenberuflich zu betreiben, um nicht 20 Menschen, sondern 500 im Jahr zu helfen (10.000 Schweine). Dafür veranschlagt sie einen Arbeitstag pro Woche.

Ihre Aufrufe nach Spenden oder Beiträgen verhallen jedoch erfolglos. Wozu sollte ich diesen Kurs unterstützen, wenn andere Menschen doch davon profitieren, fragen sich die Leute.
Sabine gelingt es nicht, die Sache mit den 10.000 Schweinen zu vermitteln. Sie muss ihren alten Beruf wieder in Vollzeit erledigen, um ihr Leben zu finanzieren. Ihre Idee war gut – doch ihr fehlten die Emotionen.
Echt bemerkenswert, wie unterschiedlich wir reagieren – oder?
Wir wissen zwar, dass Sabines Kurse viele Tiere retten. Aber wir spüren es nicht. Es ist abstrakt. Die Tragik der Prävention.
Bei den geretteten Schweinen war es anders. Medien zeigen uns die geretteten Tiere aus dem Schlachthof in Aktion. Wir erleben den Kontrast zwischen der Gefahr und dem Glück der Tiere. Wir wollen Anteil nehmen an ihrem Glück!
Obwohl Vorbeugung (z. B. durch Kurse zu pflanzenbetonter Ernährung) viele hunderte oder tausende Tiere mehr retten könnten, haben sie selten eine Chance gegen die Kraft der Emotion.
Was hilft?
Wir können uns bewusst machen, dass wir so ticken. Schicksale, die wir sehen, berühren uns einfach stärker als gerettete Tiere, von denen wir nichts mitbekommen.
Doch wir wissen, dass wir mehr Leid verhindern können, indem wir auf unseren Kopf hören – und die Hebelkraft des Geistes ansetzen.
- Es kann helfen, wenn wir vor jeder Spende 10 Sekunden lang innehalten und überlegen: Fördere ich eine Aktion, die vielen Tieren hilft? Oder geht es um mein eigenes Gefühl der Anteilnahme?
- Vielleicht nehmen wir uns vor, aktiv nach Projekten mit Hebelkraft zu suchen, die wir fördern möchten, statt emotional nach Anlass zu spenden.
- Auch bei laufenden Fördermitgliedschaften können wir uns fragen: Gibt es Möglichkeiten, um mit demselben Geld viel mehr Tiere zu retten?
Vielleicht läuft es am Ende nicht auf "entweder, oder" hinaus, sondern auf "beides".
Wenn wir manchmal an Projekte spenden, die uns emotional berühren, und manchmal für solche, die uns rational überzeugen, können wir beide Teile vereinen. Wir fördern Projekte, die uns am Herzen liegen – und solche, von denen wir wissen, dass sie reales Leid verhindern (auch wenn wir die Tiere nicht kennen).
Manche Menschen haben sich auf "effektiven Altruismus" spezialisiert. Menschen wie Felix Werdermann spenden sogar über 20.000 Euro pro Jahr!
Doch selbst kleine Beträge können etwas bewirken. Vor allem dann, wenn sie ihre Hebelkraft entfalten.
Veröffentlichung:
Autor: Kilian Dreißig