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Nein "Welt", liberale und gerechte Menschen lieben nicht immer Fleisch

Reißerisch, aber wenigstens mit Substanz?
Reißerisch, aber wenigstens mit Substanz? Bild: Screenshot

Unter dem Titel "Warum liberale Menschen Fleisch lieben" sorgt die "Welt" mal wieder für Empörung - nicht nur in veganen und vegetarischen Communities.

Der Titel innerhalb der Seitennavigation lautet sogar "Grillen: Warum liberale und gerechte Menschen Fleisch lieben". Gerechtigkeit sogar, wow!

Auch in unserem Forum wurde der Artikel bereits kommentiert.

Der Meinungs-Artikel in der "Welt" stammt vom Autoren Leander Steinkopf, der auch schon für das Feuilleton manch anderer Zeitung geschrieben hat. Nicht immer substanziell, aber immerhin.

Gängiges Muster bei reißerischen Artikeln dieser Art: Sie provozieren erst und verbergen sich dann hinter einer Paywall. Schlechte Laune als Geschäftsmodell, könnte man sagen.

Und nein, bezahlt habe ich nicht. Ich habe mir nur die ersten Absätze durchgelesen - und meine gute Laune behalten. So schlimm war es gar nicht. Hier also meine Meinung zum Meinungs-Artikel von Leander Steinkopf.

Im Grunde serviert uns der Autor eine uralte und aus der Zeit gefallende Fleischsymbolik in neuer Form. Wurst, durch den Fleischwolf gedreht, könnte man sagen.

Und das ist der Plot: Der Autor lernt eine Frau kennen und es scheint zu knistern. Sie lädt ihn ein zum Grillen auf ihrem Elektrogrill. Vorher wollen sie aber noch im Supermarkt Essen kaufen.

Und während der Autor seinen Gedanken nachhängt, wie die mutmaßlich vegetarisch oder vegan essende Herzdame auf seine "echte(!) Bratwurst" reagieren wird, entscheidet diese sich an der Fleischtheke für Schweinebauch.

Der Mann fühl sich also fast überraschend von der Frau akzeptiert und ist sich nicht zu schade, das Ausbleiben der schon fast erwarteten Ablehnung zur "Liberalität", "Gerechtigkeit" und einem erotischen Erlebnis zu stilisieren.

Und dann kommt die Bezahlsperre, wodurch mir das weitere Elend im Detail erspart blieb.

Der Anfang des Artikels "Warum liberale Menschen Fleisch lieben" liest sich für mich wie ein Paradebeispiel aus einem VHS "Laienkurs Psychologie".

Fleisch-Symbolik mit dem Vorschlaghammer

Da ist also der echte Mann, dieser echte Fleischesser, mit seinen echten Bratwürsten. Echt!

Und da ist die attraktive Frau seiner Begierde, die aber nörgelig, streng und unnahbar sein könnte. Schließlich könnte sie vegan leben und damit Fleisch ablehnen - also auch seine Männlichkeit.

Doch während der Mann sich schon gedanklich darauf vorbereitet, seine Männlichkeit gegen die strenge Frau zu behaupten (er scheint kein Freund inhaltlicher Debatten), scheint diese ebenfalls die Symbolik verinnerlicht zu haben und lehnt ihn überraschenderweise doch nicht ab.

Für ihn also hocherotisch, mit diesem irgendwie bettelnd wirkenden Männlichkeits-Pathos bei dieser Frau akzeptiert zu werden. Es scheint für ihn gar die reinste Form der Liberalität zu sein. Das musste ja sogar in den Titel des Artikels!

Und obwohl der Artikel natürlich provozieren und zu wütenden Reaktionen anregen möchte, hat er doch eine traurige Message.

Abhängigkeit von Fleisch-Symbolik schadet echten Männern.

Denn die Fleisch-Symbolik ist sehr zerbrechlich. Wer die Ablehnung von Fleisch als Ablehnung der eigenen Männlichkeit interpretiert, wird immer wieder Kränkungen und Enttäuschungen erleben.

Und das ist in einer Realität sehr wahrscheinlich, in der Klimaforscher, Urwaldforscher, Meeresforscher, das Umweltbundesamt und sogar Onkologen dringend dazu raten, pflanzlich(er) zu essen.

Diese Fleisch-Symbolik ist faktenmäßig komplett aus der Zeit gefallen. Wer Fleisch braucht, um sich als Mann zu fühlen, hat das, was man salopp "Ar*chkarte" nennt. Daran hilft nichts, immer weiter auf Veganerinnen und Veganer einzudreschen. Das Problem ist im eigenen Kopf.

Übrigens: Veggies denken meist viel wohlwollender über Fleischesser, als diese glauben.

Denn die Folgen der Fleischerzeugung für die Gesellschaft - und damit auch für Fleischesser - sind ja bekannt. Selbst in der "Welt" kommt das ab und zu vor. Klimakrise. Skandale in Tierhaltungen. Darmkrebs.

Wenn wir also alle davon profitieren, weniger Fleisch zu essen, dann ist es Zeit, diese fehlgeleitete Vorstellung von Männlichkeit einmal zu hinterfragen - und sich wirklich einmal mit den Werten echter Liberalität zu beschäftigen. Da geht's nämlich um viel mehr als bloß "mach was du willst".

Insofern hat der Artikel nicht viel Neues zu bieten. Kein Grund, sich aufzuregen.

Übrigens: Warum viele Fleischesser Vegetarier und Veganer ablehnen, hat uns der Psychologe Prof. Dr. Klotter im Interview erklärt: Hier geht's zum Interview.. An dieses Interview musste ich beim Lesen des Artikels immer wieder denken.

Edit: Der Vollständigkeit halber hier noch der Link zum Artikel.

Veröffentlichung:

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Artikel auf Welt+: "Warum liberale Menschen Fleisch lieben"
Letzter Beitrag: 18.05.2022, von Vegbudsd.

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4,9/5 Sterne (32 Bew.)
AUTOR: KILIAN DREIßIG
Vegane Lebensweise vereint Klimaschutz, Tierschutz und Lebensqualität. Gründe genug, mich als Journalist damit zu beschäftigen.

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