"Weidemilch": So gaukeln uns Molkereien und Landwirte Tierwohl vor
Wenn wir im Supermarkt Werbung für "Weidemilch" sehen, dann denken wir an grüne, saftige Wiesen, Blumen und Sonnenschein. An Kühe, die nach Lust und Laune auf die Weide können. Wahrscheinlich geht es den meisten Verbrauchern so.
Doch stehen die Rinder, deren Milch als "Weidemilch" verkauft wird, wirklich die meiste Zeit auf der Weide?
Die kurze und ernüchternde Antwort lautet: Eher nicht.
Wenn von "Weidemilch" die Rede ist, dann wissen Verbraucher eigentlich gar nicht so genau, was damit wirklich gemeint ist.
Der Begriff "Weidemilch" ist auch nicht lebensmittelrechtlich geschützt. Und so kam es in der Vergangenheit bereits zu Auseinandersetzungen vor Gericht, darüber, ob Kuhmilch auch dann als "Weidemilch" vermarktet werden darf, wenn die Kühe faktisch die meiste Zeit im Stall verbringen.
Ein bekanntes Urteil lautet, dass Milch dann als "Weidemilch" bezeichnet werden darf, wenn die Kühe mindestens 120 Tage im Jahr auf die Weide können.
Acht von zwölf Monaten im Stall - und trotzdem "Weidemilch".
120 Tage im Jahr - das ist etwas weniger als jeder dritte Tag. Zwei von drei Tage im Jahr können die "Weidemilch"-Rinder demzufolge auch im Stall gehalten werden. Das sind acht von zwölf Monaten! Und im Stall ist sogar Anbindehaltung möglich, bei der sich die Tiere nicht einmal umdrehen können!
Als Verbraucher reibt man sich die Augen. Warum sollte etwas als "Weidemilch" bezeichnet werden, wenn die Kühe die meiste Zeit im Stall gehalten werden? Welchen Sinn macht der Begriff da noch?
Für Landwirte ist der Weidegang der Tiere an sich nicht wirtschaftlich. Denn Kühe, die auf der Weide stehen, verbrauchen mehr Energie und geben weniger Milch. Das sind Kostenfaktoren. Und wir kennen ja alle die Klagen über zu geringe Milchpreise.
Aus dem Grund kann man davon ausgehen, dass Landwirte die Zeit des Weideganges bewusst möglichst kurz halten. Ganz abgesehen davon, dass es technisch kaum kontrollierbar wäre, ob die Tiere wirklich lange genug auf die Weide dürfen.
Unserer Meinung nach spielen "Weidemilch"-Produzenten mit unserer Phantasie. Der Begriff der "Weidemilch" gaukelt uns etwas vor, damit wir mehr Geld für Milch bezahlen und glauben, den Tieren damit etwas Gutes zu tun.
Aber noch etwas anderes ist in Bezug auf "Weidemilch" wichtig:
"Weidemilch" lässt keine Aussagen zur Fütterung zu
Der Begriff "Weidemilch" lässt uns Verbraucher nämlich nicht nur an Bewegungsmöglichkeiten im Freien denken - sondern auch an natürliches Futter wie Gras, Klee, Löwenzahn und so weiter.
Dabei hat der Begriff "Weidemilch" keinerlei Aussagekraft darüber, wie die Tiere gefüttert werden. In der Regel erhalten Tiere in der Milchindustrie Kraftfutter. Also richtig energiereiche Futtermittel! Das gilt auch für Tiere, die "Weidemilch" geben.
Solche Futtermittel werden häufig aus gentechnisch veränderten Rohstoffen erzeugt. Und: Sie stammen oft auch aus tropischen Gebieten, wo der Bedarf nach Anbauflächen die Rodung der Urwälder vorantreibt.
Milch-Landwirte behaupten häufig, dass Rinder wertloses Gras in hochwertige Nahrungsmittel umwandeln würden. Dadurch würden viele Landflächen erst nutzbar.
Tatsächlich wandeln die meisten Rinder hochwertiges Kraftfutter aus Ackerbau in ziemlich wertlose Gülle um. Ein Grundproblem der Tierhaltung. Nur ein kleiner Teil des Futters wird zum Tierprodukt.
Aus dem Grund sind tierische Nahrungsmittel auch so schädlich für die Umwelt. Denn schon der Anbau der Futtermittel verschlingt Energie, Wasser, Düngemittel, Pflanzenschutzmittel und so weiter.
Auch bei "Weidemilch" wird Kraftfutter gegeben. Übrigens sogar bei "Heumilch", ein (rechtlich geschützter) Begriff, der das Spiel mit den Assoziationen noch weiter treibt.
"Weidemilch": Ein Spiel mit unseren Assoziationen
Zusammengefasst:
- Der Begriff "Weidemilch" ist nicht rechtlich geschützt.
- "Weidemilch" stammt oft von Tieren, die die meiste Zeit im Stall stehen.
- Es ist darüber hinaus kaum kontrollierbar, ob die Tiere tatsächlich mindestens 120 Tage im Jahr auf die Weide können.
- "Weidemilch" lässt keine Aussagen darüber zu, ob die Tiere Kraftfutter oder gentechnisch veränderte Futtermittel erhalten.
Bei Begriffen wie "Weidemilch" solltest du nicht zu gutgläubig sein. Weder müssen die Tiere die meiste Zeit auf der Weide stehen, noch steht "Weidemilch" für eine natürliche Fütterung der Tiere mit Gras und Heu.
Es gibt zwar Verbände, die eigene Kriterien für "Weidemilch" erlassen, diese sind aber nicht gesetzlich definiert und auch hier ist die tatsächliche Weidezeit schwer überprüfbar. Ganz abgesehen davon, dass es sich in der Regel um Nischenprodukte ohne nennenswerte Verbreitung handelt.
Tatsächlich brauchen Menschen nach dem Säuglingsalter gar keine Milch mehr - und erst recht nicht die Muttermilch einer anderen Tierart. Es gibt viele gute Gründe, keine Milch zu trinken.
Wir können gut ohne Kuhmilch gesund und fit bleiben - vielleicht sogar ein bisschen gesünder.
Wer von Kindesbeinen daran gewöhnt ist, Milch zu konsumieren, findet inzwischen eine Vielzahl an pflanzlichen Milch-Alternativen auf dem Markt. Diese lassen sich verwenden wie Kuhmilch, haben aber nicht deren Nachteile fürs Klima, die Umwelt, Tiere und Gesundheit.
Weiterlesen: Erfahrt hier, warum Weidemilch nicht klimaneutral ist.
Veröffentlichung:
Autor: Kilian Dreißig