Vegpool Logo
Beiträge: neue

Wie wir Vegan wurden - Ein Ü60 Erfahrungsbericht

Erstellt 20.01.2023, von Fuchs. Kategorie: Gesund vegan leben. 3 Antworten.

Vorherige Posts laden
Benutzerbild von Fuchs
Themen-Startervegan9 Postsmännlich33442 Herzebrock-ClarholzLevel 1
Wie wir Vegan wurden - Ein Ü60 Erfahrungsbericht
20.01.2023
Wie wir Vegan wurden
wir, das sind meine weitaus bessere Hälfte und ich. Wir sind mit einer sechs vor unseren Lebensjahren ausgestattet und damit Anfang Ranzig ;-)

Die Wende
Sommer 2019, wir waren gerade von einer längeren Radreise zurückgekehrt, hatten eine wunderbare Zeit und waren vollkommen fasziniert von dieser nachhaltigen Art Urlaub zu machen. Mit einfachen Mitteln, also zwei Fahrrädern, einem Zelt, nur dem nötigsten und gewaltiger Reiselust entlang der Ostsee, entschleunigt und ohne festen Zeitplan. So trafen wir dort bei schönstem Wetter hungrig und durstig auf einen gemütlichen Gasthof. Wir bestellten Matjesbrötchen. Das war ein herausragender Genuss der uns hier in Strandnähe sozusagen direkt in die “Matjesabhängigkeit” katapultierte und der wir in den Wochen danach noch ausgiebig frönten. Nachdem wir wieder zu Hause waren, bekam meine Frau eine heftige Hautreaktion die ihr den dringenden ärztlichen Rat einbrachte praktisch auf alles Tierische zu verzichten!
»Wie, was, nie wieder?« fragte ich bestürzt.
»Zumindest erst einmal für sechs Wochen, dann wird erneut getestet« antwortete sie leise.
»Oh weh, was können wir dann denn überhaupt noch essen« lautete meine erschrockene Reaktion. »Weiß ich auch noch nicht, für dich kann es ja normal weitergehen und ich esse Salat«
Eine Extrawurst für mich,— das wollte ich nicht, geteiltes Leid ist bekanntlich halbes Leid.

Wasser und Brot?
Ab diesem Tag für mindestens sechs Wochen kein Fleisch, keine Wurst, keinen Käse, keine Eier. Ein interessantes, herausforderndes, aber auch beängstigendes Gefühl. Nun gut,— sie musste - ich konnte, wenn es zu arg würde könnte ich einfach wieder zurückkehren zu den alten heißgeliebten Schlemmereien wie Heidefrühstück, Old Amsterdam, Steak und was es da sonst noch so gab. Das milderte die Entscheidung für mich, außerdem waren da ja auch noch die sogenannten Lebensmittel die deswegen nun nicht im Müll landen sollten, aber mangels Nachschub schnell erschöpft waren. Dann wurde es auch für mich ernst. Aber alles war erstaunlicherweise halb so wild, wenn die Vielfalt auch erst noch entdeckt werden wollte, so gab es doch mittlerweile genügend vollwertigen Ersatz. Alles war so viel einfacher als zuvor angenommen und nach wenigen Wochen war es Routine, nichts fehlte mehr.

Der olfaktorischen Super Gau
Unser Blick viel nun mehr und mehr auf die Schattenseiten dieser „Nutztier“ Haltung. Tiertransporte die uns begegneten sahen wir nun in einem anderen Zusammenhang, fielen sie doch auf wie kein anderer. Dieser penetrante Geruch der sich sogar gegen den Wind verteilte und einem olfaktorischen Super Gau bedeute. Wir sahen diese rosa Steckernasen die sich verwirrt und verängstigt durch die kleinen Luken drängten und wir wussten was in wenigen Minuten mit ihnen passieren würde und auch das wir lange mitschuldig an deren Leid waren, dessen Ausmaß uns zuvor kaum bekannt war.

Schuldig
Ja,— wir sind mitschuldig und hatten unser schlechtes Gewissen mit einem Klassiker aus der Mottenkiste der schlauen Sprüche beruhigt, kurz in den abgegriffenen Karten gekramt, — ja, was haben wir den da; »Dafür hatte das Tier ein gutes Leben! « Na ja, der Satz geht, ist aber noch nicht optimal, — Oh der hier ist gut; »ich esse ja nicht mehr viel Fleisch! « Und Schwups geht es uns doch sofort schon wieder besser. Der Selbstbetrug funktionierte hervorragend, also haben wir auch nur ein klitzekleines bisschen Schuld,— So ein ausgemachter Schwachsinn! Warum aber hat das so lange so gut gewirkt? Vielleicht war es das; „was ich nicht sehen will ist auch nicht da?“

Die ungeschminkte Wahrheit
Es gab jeden Tag Wurst und praktisch kaum eine Mahlzeit ohne Fleisch, - welch ein Selbstbetrug, den ich nicht einmal unserem inneren Schweinehund überantworten kann. Noch unbegreiflicher wird es, wenn wir uns bewusst machen, das wir viele Jahre bereits mit dem Gedanken sympathisiert haben, wollten uns mit diesem Thema mal näher befassen und doch war dieser goldene Gedanke schnell wieder aus dem Gewissen gedrängt.


Helden oder Asketen
Allein der Gedanke an das vegane Leben, - also daran, dass jemand freiwillig und ohne Not auf all diese Gaumenfreuden verzichtete-, ließ uns Veganer als Helden erscheinen. Das Bild das wir von ihnen hatten, entsprach in etwa dem eines Asketen, der Kraft seines enormen Willens jedweden Sinnesfreuden abgeschworen hatte.


Einer Allergie als Glücksfall
Die plötzliche Allergie meiner Frau war unser Wendepunkt. Ihre gerötete Haut wirkte wie eine rote Ampel. Eine Allergie als Glücksfall wie sich herausstellte. War es doch auch die Zeit als die sogenannten Zivilisationskrankheiten auf mir landeten wie Krähen auf dem einzigen Baum weit und breit. Mein Gewicht passte nicht mehr zu meiner Körpergröße, der Blutdruck zu hoch, die Gelenke schmerzten oft bestialisch. Das Alter dachte ich und sah den Zusammenhang nicht, Tabletten sollten es richten — der Klassiker also. Dann folgte die besagte Wende in der Ernährung und kurz darauf fanden mich die "schwarzen Gesellen" als Heimatbaum wohl nicht mehr sonderlich attraktiv und einer nach dem anderen verschwand spurlos und wir fühlen uns um Jahrzehnte verjüngt und dazu auch noch im Feinschmecker Himmel und dazu praktisch Medikamentenfrei.

Ja, wir haben Vegan und es ist echt schlimm
Meiner Schwiegermutter beispielsweise scheint "Vegan" als Krankheit zu verstehen und wird nicht müde bei jeder Gelegenheit belustigt zu fragen; "seit ihr denn immer noch nicht wieder normal?" Dabei massiert sie sich ihre schmerzende Arthrose. Unser Richtungswechsel hat uns sicher in den Augen der meisten Gastgeber zu komplizierten Gästen gemacht und ist immer wieder Anlass von Nachfragen. Die wir wiederum sehr gerne nutzen um das Thema Veganismus behutsam zu bewerben wobei uns dabei möglicherweise unser Alter zu Gute kommt. Trotzdem erfordert es eine Menge Geduld.

Leidensdruck
Da besuche ich beispielsweise einen Freund, dessen Gesundheit fast vollkommen ruiniert ist, der trotz der ganzen Schmerzmittel heftige Gelenkschmerzen, Augenprobleme und ein ziemliches Übergewicht hat. Sein Bewegungsspielraum und seine Lebensqualität sind mittlerweile stark eingeschränkt. Immer wieder klagt er mir sein Leid und ich spüre seinen Leidensdruck physisch. Er ist ein feiner Kerl ich schätze ihn sehr und er tut mir unendlich leid. Ich biete mich als Beispiel an, wie Heilung oder Linderung einfach funktionieren kann, aber ich dringe nicht zu ihm durch. Er Grillt für sein Leben gern und dies ist leider schon metaphorisch zu verstehen, so verzehrt er Berge von Fleisch, Wurst und anderem Zeug und verteidigt dies als seinen letzten verbliebenen Luxus, getreu dem Motto: „Essen ist die Erotik des Alters“


Brücken bauen
Meine geduldigen Versuche eine Brücke zur pflanzenbasierten Ernährung zu bauen, ihn immer mal wieder zum Essen einzuladen um ihm zu zeigen, dass er diese „Erotik“ im veganen noch viel eher findet, scheitert regelmäßig. Nicht dass es ihm nicht schmeckt, er lobt es in der Art; „Gar nicht mal so schlecht, kann man wirklich essen!“ Ja so reden vermutlich auch die Europäer, die zum ersten Mal mit langen Zähnen geröstete Heuschrecken probieren, aber sei es drum. Gerne schließe ich meine Empfehlung dann auch mal mit der provokanten These, dass es ihm so schlecht wie er immer sagt gar nicht gehen kann, sonst würde er es doch zumindest für eine kurze Zeit mal versuchen. Leider weiß ich genau, dass es ihm eher noch schlechter geht als er sagt und ich sorge mich sehr um ihn. Es gilt also zu erkennen und zu akzeptieren dass wir nicht jeden erreichen können, so sehr es uns auch schmerzt.


Flexibilität
Wir haben gelernt, dass es lediglich einer gewissen Flexibilität bedarf, erlernte Verhaltensmuster zu hinterfragen, selber nicht zu verkrusten und der perfiden Werbung von Bauernhofromantik, glücklichen Kühen, Calcium und Eisen nicht mehr auf den Leim zu gehen.
Nach und nach wurde uns die Tragweite unseres überwundenen Lebensstils bewusst, all das Tierleid für das wir mitverantwortlich sind und all die Schuld die wir so unsensibel und blind auf uns geladen haben macht uns heute fassungslos. Warum mussten bloß sechs Jahrzehnte vergehen bis wir diese wichtige Entscheidung treffen konnten. Und in welchem Umfang haben wir damit auch unserer eigenen Gesundheit schon dauerhaft beschädigt, Schäden die diese späte Läuterung auch nicht mehr revidieren kann. Heute sortieren wir diese Alternative unter den besten zehn Entscheidungen unseres Lebens ein, die wir jedoch viel eher hätten treffen sollen.


Flexibilität versus Gewohnheiten
Der Mensch, hält bekanntlich gerne an seinen Gewohnheiten fest, der innere Schweinehund wohnt in jedem von uns. Die gute Botschaft ist, dass es jeder selber in der Hand hat wie viel Macht er abgibt. Wir können und müssen ihn immer wieder in seine Schranken weisen und es ist ein wirklich gutes Gefühl dies geschafft zu haben.


Offen für neues
Neugierig bleiben, etwas ausprobieren, Entscheidungen treffen um zu spüren, dass Kurswechsel beileibe keinen Verzicht bedeutet, sondern das genaue Gegenteil ist. Nie zuvor haben wir besser, abwechslungsreicher und delikater gegessen als nach diesem Umstieg in diese wunderbare vegane Welt.


Die Nachteile
Und wenn man uns zu den Nachteilen dieser Entscheidung befragt, würden wir lediglich zwei benennen können. Zum einen die früher vorhandene Ernährungsflexibilität die uns nach etwa einem Jahr vollkommen abhanden gekommen war. Zum anderen der, das wir nicht mehr die Premium Gäste sind die alles dankbar verzehren was man ihnen serviert. Wir sind nun die Komplizierten, ja vielleicht sogar die Spinner, die schon noch sehen werden wo diese "Mangelernährung" hinführt

Mangelernährung
Ja, da können wir dann nur zustimmend nicken und lächelnd sagen; ja stimmt, Gelenkschmerzen ade, Übergewicht ade, hoher Blutdruck ade, Asthma ade, top Blutwerte, topfit... und ein viel besseres Gewissen.


Zukunft
Es wird die Zeit kommen, wo der Kauf von tierischen Lebensmittel allgemein als Antisozial gelten wird und die ewigen Ignoranten vermummt und heimlich totes Fleisch und Drüsensekret für ihren mächtigen Schweinehund kaufen werden.
**
Also, bleibt neugierig und aufgeschlossen, gesund und geduldig und verbreitet weiter behutsam dieses bessere Leben, diese bessere Zukunft.


Herzlichen Dank für Dein Interesse

p/s in herzliches Dankeschön an dieser Stelle besonders an Kilian, Selma und auch alle anderen, die so engagiert Informieren und die Welt somit zu einem besseren Ort machen.

Kein Benutzerbild
Vegandrea0
20.01.2023
Wow, danke für diesen Bericht! Gut und humorvoll geschrieben. :heart:

Benutzerbild von METTA
vegan4.660 Postsweiblich ObertshausenLevel 4Supporter
20.01.2023
Hallo Fuchs
danke für den ausführlichen Bericht über Eure Veränderung zum veganen Leben und die Verbesserungen, die Ihr erleben durftet. Ich habe ja auch eine 6 vorne und eine hinten, habe jedoch schon in meinen 30er Jahren mit vegetarischer Ernährung angefangen und dann in den letzten 6 Jahren mit veganer Ernährung.
wünsche Euch weiterhin viel Erfolg mit Eurer Ernährungsweise und auch dem Mut und Humor anderen entgegenzutreten, die diese Ernährungsweise als nicht normal sehen.
Wo wart Ihr denn 2019 an der Ostsee ?
Liebe Grüße
METTA

Benutzerbild von Fuchs
Themen-Startervegan9 Postsmännlich33442 Herzebrock-ClarholzLevel 1
20.01.2023
Hallo Metta,
vielen Dank für die freundlichen Worte.
Bin hinsichtlich des Forums noch recht unerfahren und muss mich erst einmal etwas reinFuchsen ;-)
2019 sind wir von Travemünde aus die Ostsee Küste Richtung bis nach Rügen gefahren und dann wieder durch Mekpom zurück zu unserem Auto.
Liebe Grüße

Antworten

Forensuche

Werde Teil der Community

Jetzt anmelden und dabei sein. Kostenlos!

Jetzt registrieren

Leitlinien

Entdecke die Leitlinien für die Vegpool-Community.

→ Leitlinien

Nächster Thread:

Sich gesund fühlen macht VIEL zufriedener

Weitere Themen:

Titel
zuletzt
Dana
Dana

gestern
» Beitrag
Vegan-Atheist
Vegan-Atheist

23. Apr.
» Beitrag
Thueringerin

22. Apr.
» Beitrag
Vegan-Atheist
Vegan-Atheist

17. Apr.
» Beitrag
Vegan-Atheist
Vegan-Atheist

16. Apr.
» Beitrag