Ich bin grad mal wieder zufällig, über eine Sendung gestolpert. In dem Format werden in kurzer Zeit zwei Menschen mit gegenteiligen Meinungen gegenüber gesetzt und ich fand das spannend, zu erfahren, was den vor allem der/diejenige denkt, der/die eine andere Haltung als ich. Als Zuschauerin war ich da jetzt freier, ich wollte einfach mal verstehen, was geht in dem Menschen vor? Warum tickt er wie er tickt?
Ich habe mir u.a. eine Folge angeschaut, in der treffen eine Metzgerin/Jägerin und ein ehemaliger nun veganer Metzger und Tierschutzaktivist aufeinander.
https://www.zdf.de/kultur/sags-mir/vegan-sam-100.html (muss man sich jetzt nicht angucken, ich nehm da nur bissl Bezug darauf, um meine Gedanken zu erläutern)
Die Argumente sind erstmal nicht neu und auch etwas anstrengend zwischendrin, weil sich beide nicht so wirklich zuhören manchmal und vorwegnehmen was der andere vielleicht sagen könnte und dadurch schlingert die Diskussion etwas ab.
Aber was ich jetzt zum Schluß hin interessant fand, dass die Frau ganz klar u.a. sagte: Ethisch und mit Blick aufs Klima steht der Veganismus eindeutig vorne, also ist das Ideal...
Das Dilemma ist also demnach, dass sich Menschen, trotz besseren Wissens über das was ethisch richtig wäre, anders verhalten. Und das trifft womöglich auf mehr Fleischesser*innen zu, wie man so denkt (in Bezug auf Veganismus). Sicher nicht auf alle, aber doch einen Großteil - würde ich vermuten.
Gleichzeitig kann ja niemand von sich sagen, dass er oder sie sich ethisch in allen Fällen absolut korrekt verhält. Auch niemand, der sich vegan ernährt - zum einen gibt es ja eine große Bandbreite, wie weit der Veganismus geht (Essen oder auch Kleidung oder allen Konsum, in allen Bereichen) und zum anderen gibt es auch andere genauso zentrale Probleme (Kinderarbeit beispielsweise, Klimazerstörung, Welthunger, Ausbeutung / Ausgrenzung von Menschen, Ländern, Gewalt uvm. Es hängen ja alle miteinander zusammen), in der der vegan lebende Mensch auch vieles besser weiß, was er / sie nicht tun sollte und es trotzdem tut.
Also stell ich mir die Frage: Was könnte ein Umgang damit sein? Wenn es gar nicht so sehr darum geht, dass man den anderen überzeugen muss, weil er/sie das eigentlich doch eh schon weiß, dass das ethisch nicht in Ordnung ist? Also ändert sich in dem Fall nichts, wenn ich die Argumente aufliste. Der andere / die andere wird im schlimmsten Fall die "Tür zuknallen" und nichts hören wollen, weil sie ja selbst weiß, dass sie sich eben eigentlich anders verhalten müsste und das aber nicht tut. Sie würde dadurch nur mit ihrem "Versagen" konfrontiert. Das kann niemand gut aushalten, weil man noch mehr Schuldgefühle und ein schlechtes Gewissen kriegt. Also geht man in die Abwehr, blockt ab oder versucht den anderen in der Gegenwehr mindestens genauso "schlecht" zu machen. Das kann man ja oft beobachten.
Müsste man aber nicht ganz anders vorgehen im Aktivismus in Bezug auf die Beendigung der Massentierhaltung hin zu Veganismus?
Und wäre es nicht hilfreicher um Wege zu finden dahin, wenn wir uns daran erinnern, dass wir selbst viele ethische "Verstöße" begehen, trotz besseren Wissens? Also das ist etwas was alle Menschen gemeinsam haben, oder nicht?
Wenn ich das halt so sehe, dass der Mensch mir gegenüber tief innen drin weiß, dass er sich eigentlich entgegen seiner Werte verhält, frage ich mich eher: wie könnte ich ihn unterstützen, dass es ihm leichter fällt auf diese innere Stimme zu hören? Ich muss ihn ja gar nicht überreden, auf mich zu hören. Es geht ja darum, dass er / sie auf sich selbst hört und dann fühlt es sich auch gut und richtig an, dann ist es auch kein Verzicht und keine Qual. Nach den eigenen Werten zu leben, ist ein zutiefst befriedigendes Gefühl.
Es war auch sehr spannend, dass die gleiche Frau, die zum Ende hin meinte, ethisch wäre die Sache vollkommen klar, ein paar Minuten vorher sagte: Wenn ich das Töten von Tieren einfach nicht schlimm finde und ich würde dir aber recht geben (dass es das wäre), dann würde mit mir etwas nicht stimmen. ich müsste mich fragen: warum finde ich das Töten nicht schlimm? Aber da es ja noch andere gibt, die das Töten auch nicht schlimm finden, dann ist ja mit mir alles in Ordnung. (ich zitiere jetzt aus der Erinnerung)
Also diese Aussage ist natürlich inhaltlich paradox, da braucht man gar nicht drauf eingehen, dass nur weil andere den gleichen Mist bauen, ist er damit längst nicht gerechtfertigt. Und das weiß sie ja eigentlich auch. Das ist ja dann eher Ablenkung und Ergebnis der kognitiven Dissonanz. Das bestätigt eher, dass der Kern des Problems eben ein anderes ist.
Die zentrale Frage ist: Wie kommen wir dahin, dass wir unsere eigenen tiefen inneren Werte im alltag, so weit es in unserer Macht und in unseren Möglichkeiten steht, leben können? Und das gilt eben nicht nur für Veganismus, sondern generell und hat Auswirkungen auf alle drängenden Probleme.
Sich nur auf ein ethisches Problem zu konzentrieren, ist letztlich ja auch nur das Ergebnis von kognitiver Dissonanz und keine Lösung. Klar sagen manche: Besser als nichts. Aber wer entscheidet dann, wessen ethisches Problem das dringlichste ist? und ist es wirklich okay, vegan zu leben und aber in seinem Konsum Kinderarbeit zu unterstützen? Oder sich täglich für Klimaschutz oder Kinderrechte einzusetzen und aber weiterhin Fleisch zu essen? Das funktioniert auf diese Weise doch auch nicht und ist letztlich eben auch nicht ethisch vertretbar.
Also das ist jetzt eine ganz offene Frage. Ich habe keine Idee dazu.
Ich denke nur, dass das ein Kern unserer Probleme ist im Menschsein: Warum verhalten wir uns oft so lebensfeindlich trotz besseren Wissens? (gegenüber uns selbst und/oder gegenüber anderen Lebewesen und/oder der Erde usw.) und noch viel wichtiger als das Warum ist: Wie könnten wir das ändern?