Vegpool Logo
Beiträge: neue

Umgang mit ethischen Konflikten

Erstellt 01.02.2023, von lizhan. Kategorie: Allgemein vegan. 2 Antworten.

Vorherige Posts laden
Kein Benutzerbild
lizhan
Umgang mit ethischen Konflikten
01.02.2023
Ich bin grad mal wieder zufällig, über eine Sendung gestolpert. In dem Format werden in kurzer Zeit zwei Menschen mit gegenteiligen Meinungen gegenüber gesetzt und ich fand das spannend, zu erfahren, was den vor allem der/diejenige denkt, der/die eine andere Haltung als ich. Als Zuschauerin war ich da jetzt freier, ich wollte einfach mal verstehen, was geht in dem Menschen vor? Warum tickt er wie er tickt?


Ich habe mir u.a. eine Folge angeschaut, in der treffen eine Metzgerin/Jägerin und ein ehemaliger nun veganer Metzger und Tierschutzaktivist aufeinander.
https://www.zdf.de/kultur/sags-mir/vegan-sam-100.html (muss man sich jetzt nicht angucken, ich nehm da nur bissl Bezug darauf, um meine Gedanken zu erläutern)

Die Argumente sind erstmal nicht neu und auch etwas anstrengend zwischendrin, weil sich beide nicht so wirklich zuhören manchmal und vorwegnehmen was der andere vielleicht sagen könnte und dadurch schlingert die Diskussion etwas ab.


Aber was ich jetzt zum Schluß hin interessant fand, dass die Frau ganz klar u.a. sagte: Ethisch und mit Blick aufs Klima steht der Veganismus eindeutig vorne, also ist das Ideal...


Das Dilemma ist also demnach, dass sich Menschen, trotz besseren Wissens über das was ethisch richtig wäre, anders verhalten. Und das trifft womöglich auf mehr Fleischesser*innen zu, wie man so denkt (in Bezug auf Veganismus). Sicher nicht auf alle, aber doch einen Großteil - würde ich vermuten.


Gleichzeitig kann ja niemand von sich sagen, dass er oder sie sich ethisch in allen Fällen absolut korrekt verhält. Auch niemand, der sich vegan ernährt - zum einen gibt es ja eine große Bandbreite, wie weit der Veganismus geht (Essen oder auch Kleidung oder allen Konsum, in allen Bereichen) und zum anderen gibt es auch andere genauso zentrale Probleme (Kinderarbeit beispielsweise, Klimazerstörung, Welthunger, Ausbeutung / Ausgrenzung von Menschen, Ländern, Gewalt uvm. Es hängen ja alle miteinander zusammen), in der der vegan lebende Mensch auch vieles besser weiß, was er / sie nicht tun sollte und es trotzdem tut.


Also stell ich mir die Frage: Was könnte ein Umgang damit sein? Wenn es gar nicht so sehr darum geht, dass man den anderen überzeugen muss, weil er/sie das eigentlich doch eh schon weiß, dass das ethisch nicht in Ordnung ist? Also ändert sich in dem Fall nichts, wenn ich die Argumente aufliste. Der andere / die andere wird im schlimmsten Fall die "Tür zuknallen" und nichts hören wollen, weil sie ja selbst weiß, dass sie sich eben eigentlich anders verhalten müsste und das aber nicht tut. Sie würde dadurch nur mit ihrem "Versagen" konfrontiert. Das kann niemand gut aushalten, weil man noch mehr Schuldgefühle und ein schlechtes Gewissen kriegt. Also geht man in die Abwehr, blockt ab oder versucht den anderen in der Gegenwehr mindestens genauso "schlecht" zu machen. Das kann man ja oft beobachten.


Müsste man aber nicht ganz anders vorgehen im Aktivismus in Bezug auf die Beendigung der Massentierhaltung hin zu Veganismus?


Und wäre es nicht hilfreicher um Wege zu finden dahin, wenn wir uns daran erinnern, dass wir selbst viele ethische "Verstöße" begehen, trotz besseren Wissens? Also das ist etwas was alle Menschen gemeinsam haben, oder nicht?


Wenn ich das halt so sehe, dass der Mensch mir gegenüber tief innen drin weiß, dass er sich eigentlich entgegen seiner Werte verhält, frage ich mich eher: wie könnte ich ihn unterstützen, dass es ihm leichter fällt auf diese innere Stimme zu hören? Ich muss ihn ja gar nicht überreden, auf mich zu hören. Es geht ja darum, dass er / sie auf sich selbst hört und dann fühlt es sich auch gut und richtig an, dann ist es auch kein Verzicht und keine Qual. Nach den eigenen Werten zu leben, ist ein zutiefst befriedigendes Gefühl.


Es war auch sehr spannend, dass die gleiche Frau, die zum Ende hin meinte, ethisch wäre die Sache vollkommen klar, ein paar Minuten vorher sagte: Wenn ich das Töten von Tieren einfach nicht schlimm finde und ich würde dir aber recht geben (dass es das wäre), dann würde mit mir etwas nicht stimmen. ich müsste mich fragen: warum finde ich das Töten nicht schlimm? Aber da es ja noch andere gibt, die das Töten auch nicht schlimm finden, dann ist ja mit mir alles in Ordnung. (ich zitiere jetzt aus der Erinnerung)
Also diese Aussage ist natürlich inhaltlich paradox, da braucht man gar nicht drauf eingehen, dass nur weil andere den gleichen Mist bauen, ist er damit längst nicht gerechtfertigt. Und das weiß sie ja eigentlich auch. Das ist ja dann eher Ablenkung und Ergebnis der kognitiven Dissonanz. Das bestätigt eher, dass der Kern des Problems eben ein anderes ist.


Die zentrale Frage ist: Wie kommen wir dahin, dass wir unsere eigenen tiefen inneren Werte im alltag, so weit es in unserer Macht und in unseren Möglichkeiten steht, leben können? Und das gilt eben nicht nur für Veganismus, sondern generell und hat Auswirkungen auf alle drängenden Probleme.


Sich nur auf ein ethisches Problem zu konzentrieren, ist letztlich ja auch nur das Ergebnis von kognitiver Dissonanz und keine Lösung. Klar sagen manche: Besser als nichts. Aber wer entscheidet dann, wessen ethisches Problem das dringlichste ist? und ist es wirklich okay, vegan zu leben und aber in seinem Konsum Kinderarbeit zu unterstützen? Oder sich täglich für Klimaschutz oder Kinderrechte einzusetzen und aber weiterhin Fleisch zu essen? Das funktioniert auf diese Weise doch auch nicht und ist letztlich eben auch nicht ethisch vertretbar.


Also das ist jetzt eine ganz offene Frage. Ich habe keine Idee dazu.


Ich denke nur, dass das ein Kern unserer Probleme ist im Menschsein: Warum verhalten wir uns oft so lebensfeindlich trotz besseren Wissens? (gegenüber uns selbst und/oder gegenüber anderen Lebewesen und/oder der Erde usw.) und noch viel wichtiger als das Warum ist: Wie könnten wir das ändern?

5x bearbeitet

Kein Benutzerbild
Vegandrea0
02.02.2023
Zitat lizhan:
Warum verhalten wir uns oft so lebensfeindlich trotz besseren Wissens? (gegenüber uns selbst und/oder gegenüber anderen Lebewesen und/oder der Erde usw.) und noch viel wichtiger als das Warum ist: Wie könnten wir das ändern?


Ich habe es oft leid, wenn ich versuche alles "richtig" zu machen, und andere es unbedacht zerstören. Z.B. mein Insektengarten: hier versuche ich so wenig wie möglich in die Natur einzugreifen, damit Insekten die Chance haben den Winter durchzukommen und im Frühling erwachen können. Da ich keine Zäune um meine "Beete" habe, glaubt die Nachbarschaft, dass sie auf den "ungepflegten" Streifen "Wiese" drauf rum trampeln können oder ihre Hunde draufmachen lassen können, so völlig ohne Sinn für die Natur.

Und genau da liegt glaube ich der Hase im Pfeffer: ich erlebe so viele Städtler hier, die Null Sinn für die Natur haben. Und wer die Natur nicht achtet, der hat auch keinen Sinn dafür sie zu schützen. Und das ist auch auf andere Bereiche übertragbar:
Wer keinen Sinn für sich und seinen Körper hat, hat keinen Grund ihn zu schützen.

Die Frage ist also, wie schärfen wir unsere Sinne? Für ethisch korrekte Sichtweisen?
Für Leben, egal ob Mensch oder Tier, denn auch Menschen leiden unter Menschen (Rassismus, Frauenfeindlichkeit, Queerfeindlichkeit, usw)?

Wie verhindern wir das Leid? Da sich alle in unterschiedlichen Stadien der Entwicklung befinden, können wir eigentlich nichts weiter tun, als Missstände immer wieder anzusprechen, vorzuleben, und dabei nicht überheblich werden oder agressiv. Denn niemand will einen Agressiven zum Vorbild.
Ich habe z.B. ein paar Jahre Aufkleber an meiner Haustür gehabt (von außen):
Fleischlose Zone! Be kind, every kind! Respekt, hier hat Rassismus kein Platz!
Diese Aufkleber waren eine Provokation an meine Nachbarn. Seit dem diese Aufkleber wieder weg sind, habe ich das Gefühl, dass die Nachbarn entspannter sind. Vielleicht denken die auch, dass ich wieder Fleisch esse, gegen Ausländer bin und mir Tiere jetzt egal sind. Wer mich eher sympathisch findet, denkt vielleicht über meine Einstellungen nach. Wer mich blöd findet, der wird immer versuchen gegen mich zu agieren, nämlich genau das Gegenteil von dem zu machen, was ich mache.
Ich kann nur hoffen, dass sich in deren Köpfe ein Verständnis entwickelt, aber da kommt es auch auf die Intelligenz der Leute an. Und da geht meine Hoffnung schon wieder baden😢

Benutzerbild von Crissie
vegan831 PostsweiblichLevel 4Supporter
02.02.2023
Sehr interessante Gedanken, lizhan! Viele Leute trauen sich nicht, offen etwas Gutes zu tun, weil es alle anderen im Umfeld anders machen. Ich habe das schon öfter erlebt, dass jemand nichts sagt, wenn in einer Gruppe jemand gegen Ausländer hetzt, auch wenn derjenige eigentlich sehr offen gegen Ausländer ist.


Dann ist jeder in einer anderen Situation, man kann nicht jeden gleich ansprechen. Manche muss man provozieren, mit anderen muss man ganz liebevoll sprechen.


Und wir sind ja alle daran gewöhnt, Dinge zu konsumieren, die nicht gut für uns sind, Zucker, Zigaretten, etc. Man sieht die Wirkung ja erst viel später. Wenn man sich sofort nach einem Eis wie ein Luftballon aufblähen würde, würde man es viel eher sein lassen. Wenn ich mit meinem SUV fahre, und neben mir die Natur sofort vertrocknen würde, würde ich den glatt stehenlassen. Aber so haben wir immer noch die Hoffnung, dass es vielleicht doch nicht so schlimm ist...dass wir als einzelne gar nichts bewirken...

Diese Jägerin in deinem Beispiel bewegt sich ja sicher in einem Umfeld, in dem viele Leute pro Jagd sind. Der vegane Metzger war für sie zuerst vielleicht ein absoluter Spinner, bis sie sich in ihrer Unterhaltung etwas mit seinen Argumenten vertraut gemacht hat.


Wir können in Unterhaltungen ja am besten das verstehen, was wir schon wissen. Neue Informationen blenden wir gerne aus, weil unser Hirn träge ist. Erst wenn wir etwas mehrmals gehört haben, oder uns damit beschäftigt haben, können wir es verstehen. Deshalb dauert es oft länger, bis unsere Bekehrungsversuche etwas bewirken. Ohne Wirkung sind sie aber sicher nicht.


Und ich beobachte, dass die meisten Veganer auch sonst sehr achtsam leben, also auch gegen Kinderarbeit und sonstige Ausbeutung sind.

Antworten

Forensuche

Werde Teil der Community

Jetzt anmelden und dabei sein. Kostenlos!

Jetzt registrieren

Leitlinien

Entdecke die Leitlinien für die Vegpool-Community.

→ Leitlinien

Nächster Thread:

Fleischtomate (und andere missverständliche Begriffe)

Weitere Themen:

Titel
zuletzt
kilian
kilian

10.02.2020
» Beitrag
Okonomiyaki
Okonomiyaki

gestern
» Beitrag
Kate1988
Kate1988

24. Apr.
» Beitrag
Okonomiyaki
Okonomiyaki

22. Apr.
» Beitrag
fabienne.sara

17. Apr.
» Beitrag