Klima-Psychologe: "Froh zu sein bedarf es wenig!"
Die Klimakrise bedroht das Überleben der Menschheit. Hungersnöte, Verteilungskriege und Völkerwanderungen könnten zum System-Zusammenbruch führen. Das macht vielen Menschen Angst. Und die ist berechtigt, sagte uns Psychologe Malte Klar. Allerdings ist niemandem geholfen, wenn wir nun alle in Depressionen versinken.
Malte Klar hat in Göttingen Psychologie studiert und arbeitet in einer Berliner Reha-Klinik als Verhaltenstherapeut. Außerdem engagiert er sich bei den "Psychologists for Future", lebt vegan und verteilt auf Klimademos große, bunte Seifenblasen. Im Interview gibt Malte Tipps für den Umgang mit Klima-Ängsten - und für das Leben im Hier und Jetzt.
Vegpool: Als Psychologe beschäftigst du dich mit den Folgen der Klimakrise auf die Psyche. Wie bist du eigentlich dazu gekommen?
Malte Klar: Ich war während meines Studiums umwelt- und globalisierungskritisch politisch engagiert. Anschließend wäre ich gern Berufsaktivist geworden, aber die Stellenauswahl war damals recht spärlich. Ich bin dann als Psychotherapeut wider Erwarten sehr glücklich geworden. Psychotherapeutische Aspekte der Klimakrise erschienen mir da als sinnvolle Spezialisierung: Eine Verknüpfung aus meiner Freude an der therapeutischen Arbeit, der Freude am politischen Engagement und dem Verantwortungsgefühl, etwas zur Bewältigung dieser Krise beitragen zu wollen - und zu können.
Vegpool: Was für Folgen kann denn die Klimakrise auf die Psyche haben? Hast du ein paar Beispiel?
Malte Klar: In Gesprächen mit Engagierten, die sich intensiv mit Fakten zur Klimakrise auseinandersetzen, höre ich immer wieder, dass sie sich hilflos, ohnmächtig, verzweifelt, ausgeliefert, depressiv, verängstigt oder auch panisch fühlen. Diese Reaktionen sind ja auch völlig angemessen und auf gewisse Weise sogar gesund: Sie weisen uns auf eine Bedrohung hin und motivieren uns, daraus zu lernen und zu handeln.
Selbst stärkere psychische Krisen können manchmal notwendig sein, um wirklich etwas im eigenen Leben zu ändern. Z.B. wieder mit den eigenen Werten im Einklang zu leben und seinen Frieden und Sinn im Leben zu finden.
Wenn wir aber nie gelernt haben, schwierige Gefühle zu erlauben und damit zu verarbeiten, können sich verschiedene psychische Störungen entwickeln als ungesunde Abwehr- und Vermeidungsstrategien. Aber auch Abgrenzung und Selbsterhöhung sind solche Abwehrmechanismen. Die wiederum können gesellschaftlich zu Egoismus, Nationalismus, Rassismus und antidemokratischen Entwicklungen führen. Das macht mir zum Beispiel gerade Angst.
Vegpool: Welche Tipps hast du für Menschen, die von der Angst vor den Klimafolgen gelähmt sind? Meditation, Psychotherapie, Tabletten - was hilft wirklich?
Malte Klar: Achtsamkeitsmeditation und Psychotherapie wären schon mal zwei Möglichkeiten, zu lernen, wie man mit schwierigen Gefühlen so liebevoll umgeht, dass man sie nicht mehr fürchten braucht: Nicht die Gefühle sind das Problem, sondern die Vermeidung von Gefühlen.
Tabletten fördern diese emotionale Kompetenz leider nicht und sind nur in schweren Fällen nötige Krücken. Was außerdem hilft: Mit Gleichgesinnten darüber reden, die eigene Selbstfürsorge ausbauen und Dankbarkeit kultivieren für das was man hat. Außerdem sollte man nicht ständig Klimakrisen-Nachrichten lesen: Die Dosis macht das Gift.
"Veränderung fällt uns schwer"
Vegpool: Menschen tendieren dazu, die Folgen ihres Handelns auszublenden. Sei es beim Rauchen oder beim Fleischessen: Der innere Schweinehund belohnt kurzfristiges Handeln. Siehst du Chancen, dass es im Umgang mit der Klimakrise anders ist?
Malte Klar: Ich bin da nicht optimistisch, denn selbst wenn wir Einsicht zeigen, fällt uns Veränderung sehr schwer. Das ändert aber nichts daran, dass es dennoch sinnvoll ist, das Mögliche zu tun und für diese Erde, die einem am Herzen liegt, einzutreten.
Ich war überrascht und begeistert, wie junge Engagierte von Fridays For Future ihre Familien von innen heraus nachhaltig umkrempeln. Es ist schon viel in Bewegung, die Klimabewegung wird zunehmend wachsen und neue Ansätze zur Verhaltensänderung werden umgesetzt. Aber es gibt nichts schönzureden: Es geht viel zu langsam.
Vegpool: Wenn wir aktuelle Simulationen der Klimaentwicklung zugrunde legt, könnte es sein, dass die Menschheit an den Folgen von Bürgerkriegen und Wasser- und Nahrungsmangel ausstirbt. Dr. Mark Benecke hatte das im Interview auf Vegpool skizziert. Sollten wir uns lieber schönere Dinge ausmalen, oder sind düstere Gedanken auch mal okay und sinnvoll?
Malte Klar: Ich würde insgesamt für mehr Hier und Jetzt und weniger Schön- oder Schwarzmalen plädieren. Die Katastrophe braucht kein weiteres Katastrophisieren und auch die Hoffnung, "dass alles wieder gut wird" erscheint mir nicht plausibel.
Aber es hilft, sich gemeinsam mit Gleichgesinnten auszutauschen, was man in Anbetracht der schlechten Nachrichten fühlt. Um sich verbunden zu fühlen, Motivation fürs Engagement zu schöpfen und so persönlich und emotional an der Krise zu wachsen: Welche Werte will ich in einer Welt schlechter werdender Bedingungen leben? Hierfür bieten wir auch Gesprächsrunden an.
Vegpool: Wenn es uns selbst gut geht, bedeutet das noch lange nicht, dass wir auch das Klima retten. Du willst beides: Fröhliche Menschen und Klimaschutz. Wie lässt sich das vereinen?
Malte Klar: Studien zeigen, dass eine materialistische Ausrichtung im Leben nicht glücklich macht. Froh zu sein bedarf es wenig. Aber du hast Recht, nicht jeder fröhliche Mensch ist ein*e Klimaschützer*in – und Klimaschutz-Interesse kann viele Gefühle auslösen. Es braucht also eine umfassende, emotionale Resilienz-Förderung in der Gesellschaft, die Aufklärungskampagnen und den ökologischen gesellschaftlichen Umbau begleiten.
Nur weil wir uns mit schwierigen Gefühlen anfreunden, heißt das nicht, dass sie dauerhaft bleiben. Im Gegenteil: Sie dürfen sich dann mit Sinn, Gemeinschaftsgefühl, Schönheit, Mitgefühl, Dankbarkeit und Freude abwechseln.
Fragen: Kilian Dreißig.
Die Psychologists4Future haben auch eine Website: psychologistsforfuture.org.
Veröffentlichung:
Autor: Kilian Dreißig