Vegane Aussteigerberichte: DESHALB könnt ihr sie getrost ignorieren!

Immer wieder berichten im Netz Menschen davon, dass sie ihre vegane Ernährung abgebrochen haben, wieder Tierprodukte verzehren und davon großartige gesundheitliche Effekte erzielen konnten. Was taugen diese Berichte von Vegan-Aussteigern wirklich?
Als pro-veganes Onlineportal sind wir weltanschaulich natürlich nicht neutral – genauso wenig wie jede andere Redaktion. Bei Themen rund um vegane oder nicht-vegane Ernährung gibt es schließlich keine weltanschaulich neutrale Position.
Deshalb stützen wir uns in diesem Artikel auf ein psychologisches Phänomen, das einerseits überraschend einleuchtend klingt, aber in Wahrheit oft übersehen wird.
Ihr solltet Einzelfallberichten von Vegan-Aussteigern nicht glauben, wegen der Regression zum Mittelwert.
Die Regression zur Mitte
"Regression zur Mitte" bezeichnet den Effekt, dass außergewöhnliche Situationen statistische Ausreißer sind.
Auf statistische Ausreißer folgen im Laufe der Zeit Werte, die sich näher am Mittelwert befinden – also dem statistischen Durchschnitt aller Ergebnisse.
Beispiele für die Regression zur Mitte:
- Sportler, die an einem Tag außergewöhnlich gut spielen, bringen in den folgenden Tagen im Schnitt eine schlechtere Leistung. Ihr Durchschnitt nähert sich dem persönlichen Mittelwert an.
- Frisch erkälteten Menschen geht es rein statistisch nach einer Woche wieder besser, weil Gesundheit der statistische Normalwert ist.
- Ein etabliertes Unternehmen, das ein wirtschaftlich hervorragendes Jahr hinter sich hat, wird diesen Trend wahrscheinlich nicht fortsetzen können, wegen der Regression zum Mittelwert.
Warum es so schwer ist, die Regression zur Mitte zu berücksichtigem
Wir Menschen neigen dazu, uns aus wenigen verfügbaren Einzeldaten eine plausibel klingende Geschichte zu stricken. Der Psychologe Daniel Kahnemann bezeichnet den Effekt in seinem Sachbuch-Bestseller "Schnelles Denken, langsames Denken" als "What you see is all there is" (WYSIATI).
Deshalb ignorieren wir Faktoren, die einen Effekt womöglich viel besser erklären könnten. Oft handelt es sich dabei um Effekte, die sich unserer Kontrolle entziehen (wie Glück oder Zufall).
Kahnemann schildert einen erfundenen Medienbericht als Beispiel. Dem fiktiven Bericht zufolge profitieren Jugendliche mit depressiven Verstimmungen davon, wenn sie täglich einen Energydrink zu sich nehmen.
Kahnemann macht deutlich: Diese Effekte wären wahrscheinlich auch dann aufgetreten, wenn die Jugendlichen täglich einen Kopfstand gemacht – oder gar nichts verändert – hätten. Depressionen sind außergewöhnliche Zustände. Sie regredieren zur Mitte.
Doch weil wir Energiedrinks für eine plausible Erklärung halten, sind wir schneller bereit, an die These zu glauben, statt nach anderen Gründen zu suchen.
Ein bekanntes Beispiel aus der veganen Bubble.
Als der Ernährungs-Influencer Niko Rittenau vor einigen Jahren bekanntgab, seine Haltung zu veganer Ernährung zu ändern, stützte er dies zum Teil auf anonyme Aussteigerberichte im Netz – und auf einen Verzehrversuch seiner Freundin mit Hühnereiern. Dafür hagelte es Kritik.
Der Grund dafür, dass sich die Story vom "Eier-Heiler" in Teilen der veganen Bubbles rasant verbreiten konnte, lag sicherlich zum einen in Rittenaus Missachtung wissenschaftlicher Grundregeln, aber auch an unserem menschlichen Hang zu einfachen, kausalen Geschichten ("X verursacht / lindert Y").
Denn klar: Vorstellbar war die Theorie ja. Irgendwie.
Dabei hätten statistische Regressionseffekte möglicherweise viel belastbare Erklärungsansätze geliefert. Allerdings ohne die emotionale Tragweite.
Denn Krankheiten sind statistisch außergewöhnlich. Der statistische Mittelwert entspricht dem normalen Gesundheitszustand. Auch Krankheiten regredieren zum statistischen Mittelwert.
So vermeiden Wissenschaftler die Regressionseffekte
Gute wissenschaftliche Studien berücksichtigen die tückischen Regressionseffekte, indem sie Experimente mit ausreichend vielen Teilnehmern, über ausreichend lange Zeit und mit Kontrollgruppen durchführen.
Durch die Kontrollgruppe werden mögliche Regressionseffekte besser sichtbar, sodass man sie anschließend herausrechnen kann.
Versteht uns nicht falsch: Natürlich können Ernährungsveränderungen einen Effekt haben. Große Ernährungsstudien zeigen ja immer wieder Unterschiede je nach Ernährungsweise.
Doch wegen der vielen Störfaktoren und unserem typisch menschlichen Hang zu einfachen, kausalen Geschichten sollten wir Einzelfallberichte nicht als Beweise betrachten. Sie können uns inspirieren oder uns nachdenklich machen. Oft ist ihr Fazit aber schlicht falsch.
Veröffentlichung:
Autor: Kilian Dreißig











