Analyse: So dreist trickst die Milchindustrie in der Klimawerbung!

Das ist krass: ein Artikel von "Milchland Niedersachsen" wirbt mit "Fakten statt Märchen" – und verdreht dann Fakten und verbreitet Ideologien.
Und das hat offenbar System. Immer wieder verbreiten Verbände der Tierindustrie Mythen, Halbwahrheiten und blanke Falschbehauptungen, die Tierindustrie in ein goldenes Licht rücken – und Kritiker als "Ideologen" brandmarken.
Deshalb habe ich einmal exemplarisch analysiert, ob Behauptungen in diesem Artikel mit unabhängigen Quellen belegt werden, wo die Industrie relevante Fakten verdreht oder ganz auslässt – und wie sie emotionale Narrative nutzt, um Kritiker in Zweifel zu ziehen.
Die Seite "Milchland Niedersachsen" wird laut Impressum von der Landesvereinigung der Milchwirtschaft Niedersachsen e. V. herausgegeben, einem Industrieverband der Milchbranche.
Der Artikel "Fakten statt Märchen" stammt aus der Feder von Nora Lahmann, die als Agrarwissenschaftlerin genannt wird.
Artikel-Analyse: So schwurbelt uns "Milchland Niedersachsen" das Blaue vom Himmel
Der Artikel ist geprägt von Werbesprache. In Deutschland seien verarbeitende Unternehmen und landwirtschaftliche Betriebe weiter, als viele denken, heißt es. Der "CO₂-Rucksack" einer Kuh sei hierzulande und in Europa halb so groß wie im weltweiten Durchschnitt.
Als Quelle wird ein Artikel des "Bundesverbands Rind und Schwein" angegeben. Das ist eine andere Lobbyorganisation der Tierindustrie. Als unabhängige Quelle fällt das von vornherein aus.
Doch wenn man der Quelle folgt, stellt man fest, dass der Bundesverband Rind und Schwein seine Zahlen dort nicht konkret und unabhängig belegt.
Schon die erste Quelle verliert sich im Industrie-Marketing. Als Quelle taugt das nichts.
Weiter heißt es im "Milchland"-Artikel, die Treibhausemissionen (für die deutsche Landwirtschaft insgesamt) seien zwischen 1990 und 2022 von 71,6 auf 52,2 Millionen Tonnen zurückgegangen. Als Quelle wird dieser Artikel des Umweltbundesamts genannt.

Doch diese Quelle belegt die Aussage nicht. Zu den 52,2 Millionen Tonnen ergänzt das Umweltbundesamt sogar ausdrücklich, dass sich diese Zahl auf 60,3 Millionen Tonnen erhöht, wenn Emissionsquellen der mobilen und stationären Verbrennung mit berücksichtigt werden.
Viel problematischer ist allerdings, dass das Umweltbundesamt in seinem Artikel nur die Klimaemissionen der deutschen Landwirtschaft aufführt, die innerhalb Deutschlands freigesetzt werden. Nicht berücksichtigt werden die Klimagase, die durch Anbau, Verarbeitung und Transport importierter Futtermittel freigesetzt werden.
Doch Futtermittel für Rinder stammen häufig aus dem Ausland – auch aus tropischen Gebieten. Die enormen Klimafolgen (zum Beispiel durch Zerstörung von Urwäldern) hängen direkt mit der Milchproduktion in deutschen Ställen zusammen. Kein Wort dazu im "Milchland"-Artikel.
Der "Milchland"-Artikel lässt zentrale Klima-Faktoren aus, nämlich den Zusammenhang zum Futteranbau im Ausland. Der Link zum Umweltbundesamt ist aus meiner Sicht ein Scheinbeleg.
Scheinbelege, Faktenverdrehung und Ideologien
Die Emissionen des Landwirtschaftssektors hätten sich zwischen 1990 und 2022 um 27 % verringert, heißt es weiter im "Milchland"-Artikel. Hier mit Verweis zu diesem Artikel vom Umweltbundesamt.
Das Umweltbundesamt macht in dem Artikel deutlich, dass sich die Tierbestände in den neuen Bundesländern verkleinert haben. Zusätzlich stellt das UBA fest: "Da in den anderen großen Verursacherbereichen aber stärker eingespart wurde, stellt dieser Bereich aktuell mit fast 75 % die größte Emissionsquelle für Methan dar […].
Mit anderen Worten: Der Rückgang beim Methan liegt vorwiegend daran, dass weniger Tiere gehalten werden. Ergo: Weniger Kühe = mehr Klimaschutz.
"Milchland Niedersachsen" hat hier die Aussage der Quelle verdreht – und zu den eigenen Gunsten ausgelegt. Der Artikel nennt eine Quelle, die im Kern das Gegenteil aussagt.
Es folgt ein Absatz, in dem Kuhmilch bezogen auf die Nährwerte als vorteilhaft dargestellt wird. Dabei wird auch auf die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) Bezug genommen (jedoch ohne konkrete Quelle).
Die DGE macht auf dieser Seite sogar mit farblicher Hervorhebung darauf aufmerksam:
Die Produktion tierischer Lebensmittel belastet die Umwelt deutlich stärker als die von pflanzlichen Lebensmitteln. Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. (Stand: 28.10.2024)
Weiter unten heißt es, man "könne" täglich zwei Portionen Milch und Milchprodukte essen. "Milchland Niedersachsen" spricht hingegen von einer "Empfehlung", die ein Teil der Bevölkerung nicht "erreiche".
Neu auf Vegpool:
Das suggeriert, dass die DGE vor einem Mangel warnen würde. Dabei nennt die DGE im selben Artikel pflanzliche Drinks sogar als gute Alternative zu Kuhmilch.
"Milchland Niedersachsen" nennt u. a. die DGE als Quelle, schmückt deren Behauptungen jedoch aus meiner Sicht ohne nachvollziehbaren Beleg aus.
Was "Milchland Niedersachsen" ebenfalls unerwähnt lässt, ist die Tatsache, dass Futtermittel häufig mit Nährstoffen angereichert werden. Die Tiere nehmen diese Vitamine also über Zusätze auf. Der Konsum von Tierprodukten ist dann eine indirekte Form der Supplementierung.
Auch Kalzium wird dem Futter häufig zugesetzt. Der Milchkonsum ist dann ebenfalls eine Form der indirekten Supplementierung. Diese Hintergründe lässt "Milchland" jedoch einfach aus. → Kuhmilch als Kalzium-Quelle? So verrückt ist der Mythos!
"Milchland Niedersachsen" stellt pflanzliche Alternativen als mangelhaft dar, verschweigt aber gleichzeitig, dass Nährstoffe in Kuhmilch auch aus künstlichen Zusätzen im Futter stammen.
Schon wieder dieser "Grünland-Mythos"…
Am Ende offeriert der "Milchland"-Artikel seinen Lesern eine geballte Portion "Grünland-Mythos".
Die Milchindustrie rühmt sich gerne damit, dass Kühe Gras zu Milch umwandeln würden. Dadurch würden Grasflächen für den Menschen nutzbar.
Was die Industrie regelmäßig verschweigt: dass Milchkühe bis zu 70 % der Futterenergie über Futtermittel aus Ackerbau erhalten. Also eben nicht vom Grünland. Sondern aus Ackerbau. → Mehr über den Grünland-Mythos der Milchindustrie.
Wegen der Abhängigkeit von Ackerflächen steht die Tierindustrie in "Nahrungskonkurrenz" zum Menschen. Experten warnen, dass das die Ernährungssicherheit gefährdet.
Hochleistungszüchtungen sind auf die hohe Energiezufuhr angewiesen. Innerhalb der Laktationsphase würden sie ohne Grund- und Kraftfutter nach kurzer Zeit in Ketose fallen und verhungern.
Kein Wort dazu im "Milchland"-Artikel. Auch hier erhält der Artikel seinen ideologischen Dreh durch die Auslassung von relevanten Zusammenhängen.
Grob irreführend ist zudem die Behauptung, dass Kühe bei der Umwandlung von Gras ("in ein wertvolles Grundnahrungsmittel") Methan abgeben, "das später weiter als CO₂ bis zum Abbau in der Atmosphäre ist".
Laut Umweltbundesamt hat Methan bis zu seinem Zerfall eine etwa 23-fach stärkere Klimawirkung als CO₂ [1] – und zwar über Jahrzehnte hinweg. Und auch CO₂ ist weiter klimaschädlich.
Die Argumentation ist so falsch, als würde man behaupten, ein Feuer im Haus wäre unbedenklich, weil es ja auch wieder erlischt.
Im nächsten Satz finden wir erneut Cherry Picking. Hier heißt es irreführenderweise, dass Gras und andere Pflanzenteile das CO₂ wieder aufnähmen und es in einem "Kreislauf" hielten.
Das ähnelt dem Kohlenstoff-Mythos, der von Industrie-Kreisen seit Jahren verbreitet wird – ungeachtet wissenschaftlicher Kritik.
Tatsächlich werden die oben erwähnten Futtermittel (Grund- und Kraftfutter) in der Regel unter Einsatz chemisch-synthetischer Düngemittel auf Basis fossiler Rohstoffe (Erdgas usw.) angebaut. Diese setzen Klimagase frei, darunter Lachgas, das etwa 265-mal so klimaschädlich ist wie CO₂. [1]
Angesichts der Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen wirkt das "Kreislauf"-Argument wie eine dreiste Lüge.
Meinung
Der willkürliche Umgang mit Quellen und Fakten im Artikel vom "Milchland Niedersachsen" macht es nachvollziehbar, warum Experten eine Regulierung von klima- und umweltbezogener Werbung fordern.
Ähnlich wie bei irreführenden oder falschen Behauptungen zu Lebensmitteln ("Health Claims") sollten Hersteller auch dann zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie Falschbehauptungen über Umwelt und Klima verbreiten.
Auch wegen der Folgeschäden, die irreführende Werbung für die Allgemeinheit verursacht.
Erst 2023 hatte eine Studie ergeben, dass sich die ökologischen Folgeschäden der deutschen Tierindustrie auf 22 Milliarden Euro pro Jahr summieren. Jeder Bundesbürger bezahlt demnach etwa 264 Euro pro Jahr – ohne jede Gegenleistung.
Statt ihre Glaubwürdigkeit weiterhin aufs Spiel zu setzen, sollte sich die Milchindustrie endlich den Erkenntnissen aus der Forschung stellen – und die Tierbestände radikal reduzieren. So wie es von internationalen Expertenkreisen seit Jahren empfohlen wird (etwa vom Weltklimarat).
Zudem erscheint es mir notwendig, das Verursacherprinzip auch in der Milchindustrie anzuwenden – und Verursacher für Schäden haftbar zu machen. Denn bisher "externalisiert" sie diese Kosten – und die Allgemeinheit muss dafür aufkommen. Das verzerrt den marktwirtschaftlichen Wettbewerb und benachteiligt Hersteller umweltfreundlicher Lebensmittel.
Veröffentlichung:
Autor: Kilian Dreißig