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Nur ehrenamtliches Engagement gut?

Erstellt 17.08.2022, von kilian. Kategorie: Allgemein vegan. 9 Antworten.

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Benutzerbild von kilian
Themen-Startervegan7.663 PostsmännlichBerlinLevel 4Team
Nur ehrenamtliches Engagement gut?
17.08.2022
Dieser Glaubenssatz hält sich wie Fußpilz:
https://vegpool.de/magazin/altruismus-glaubenssatz-ueberdenken.html
Ich glaube, er ist falsch.
Wie seht ihr das?

Benutzerbild von Sunjo
vegan3.060 PostsweiblichLinzLevel 4
17.08.2022
Ich glaube auch, dass das ein falscher Glaubenssatz ist. Ich glaube, wir brauchen sowohl ehrenamtliches Engagement als auch Bezahlung für Engagierte. Nicht entweder oder, sondern beides. Und weder das eine noch das andere kann man pauschal als besser oder schlechter bewerten.

Gerade durch die Beschäftigung mit dem effektiven Altruismus hab ich gelernt, dass die Effektivität einer Organisation sich eben gerade nicht daran bemisst, ob sie möglichst geringere Kosten für die eigenen Strukturen benötigt.

Wenn man auf die eher unterdurchschnittliche Bezahlung der Mitarbeitenden in NGOs und die daraus resultierende hohe Fluktuation schaut, dann ergibt sich da geradezu zwingend die Frage, wieviel Potenzial durch das Sparen an falscher Stelle verschenkt wird.

Prinzipiell gilt: unbezahlte Arbeit oder unterbezahlte Arbeit, oder allgemein Idealismus, muss man sich leisten können. Die Frage, die wir uns als Gesellschaft stellen müssen, ist, ob wir auf die engagierten Idealisten verzichten können und wollen, indem wir sie an reine Gelderwerbsjobs verlieren, weil sie sich unbezahlte/unterbezahlte Arbeit eben nicht leisten können.
Und wenn wir zusätzlich zu den Idealisten dann auch noch die fähigsten, talentiertesten und klügsten Köpfe mit guter Bezahlung in NGOs locken könnten - wieviel besser könnte diese Welt sein und werden?

Aber andererseits: wem es finanziell super geht, der kann und sollte der Gesellschaft auch etwas zurückgeben. Und das dann eben nicht nur für Geld.

Benutzerbild von Vegbudsd
vegan2.997 Postsmännlich35708 HaigerLevel 3
18.08.2022
Zitat Sunjo:

Aber andererseits: wem es finanziell super geht, der kann und sollte der Gesellschaft auch etwas zurückgeben. Und das dann eben nicht nur für Geld.


Genau hier klemmt es doch: Ehrenamtliche Arbeit, egal wie gesellschaftlich wichtig sie ist, wird nicht als "produktive Leistung" für die Gesellschaft anerkannt, weil sie keinen oder nicht erkennbaren in € messbaren Profit erzeugt.

Deshalb - so sind wir erzogen - wird auch niemand etwas von seinem in anderem Zusammenhang verdienten Geld dafür aufbringen, es sei denn, dass er/sie zur Überzeugung gelangt, dass seine eigenen Ziele durch diese Zahlung wesentlich vorwärts gebracht wird.

Wie könnten wir das ändern? Ich fürchte: Leider gar nicht. Es gibt keine allgemein anerkannte und gelebte "Tauschwirtschaft", in der einer ein Netzteil für einen Computer bauen/reparieren kann, dessen Kind von einer anderen Person zuweilen beaufsichtigt oder gar beschult wird, während dessen Rasen von wieder Dritten in Ordnung gebracht wird usw. usw.


Wer mehr darüber und die theoretischen Hintergründe wissen will, Prof. Niko Paech hat dieses Konzept der Postwachstumsökonomie sehr schön erläutert.

https://www.youtube.com/watch?v=7XKyH0E3538

Leider hilft uns das nicht für das Problem von Arbeit, für die es keinen Preis gibt, bzw. wenn es einen gibt zu wenige Menschen bereit sind, dafür zu bezahlen, weil ihnen nicht klar ist, welchen Vorteil es für sie hat.

Preisschranken bei Publikationen sind ja auch für andere Bereiche der Medien durchaus üblich - und erfolgreich. Leider nicht für die Bereiche, in denen sich viele ehrenamtlich tätige Menschen tummeln. Da funktionieren diese Konzepte leider nur eingeschränkt.

Meine Hoffnung liegt da auf den "Erben", die erkennen, dass sie selbst ja keinerlei Beitrag zu dem von ihnen geerbten Vermögen geleistet haben, also zwar juristisch aber keineswegs ethisch/moralisch berechtigt sind, dieses Ererbte zu behalten. Diesen teilweise "+überreichen" Menschen klar zu machen, dass sie dieses Vermögen zumindest teilweise durchaus sinnvoll "anlegen" können, indem sie Ehrenamt finanzieren, damit auch dafür vernünftige Entlohnungen gezahlt werden können, wäre mein Ansatz.

Nur wie macht man für diesen Ansatz "Reklame"? Darüber kann ja durchaus nachgedacht werden. Manche Erben tun dies ja auch bereits, wenn es die Erblasserinnen nicht eh schon vor dem Erbfall durch entsprechende Regelungen im Testament oder vorab durch Schenkungen getan haben.

Jetzt ginge es noch um die Verteilung solcher Vermögen - und jetzt wird es natürlich wieder kompliziert. Soll das in einem demokratischen Prozess von gewählten Gremien geschehen, oder zieht man sich lieber als Vermögenserbe den Vorwurf der Einflussnahme mithilfe des Stiftungsvermögens zu.


Das ist ziemlich kompliziert alles, aber "Betteln" oder auf Dauer in Armut für lau arbeiten ist halt auch keine Lösung.

1x bearbeitet

Benutzerbild von METTA
vegan5.148 Postsweiblich ObertshausenLevel 4
18.08.2022
Man kann das eigentlich ganz krass bei der Hausarbeit und Kinderbetreuung sehen, die früher fast nur von Frauen gemacht wurde ohne Bezahlung. Sicher haben die Frauen dafür nie Geld verlangt und sich abgerackert , aber andererseits sind viele dadurch verarmt, dass ihre Männer sie entweder verlassen haben und sich eine jüngere genommen haben, oder - als Bergarbeiter etc. - selbst wenig Einkommen hatten und den Frauen dann nur eine kleine Rente blieb.
ich denke dass z.B. SOS Kinderdörfer , PRO ASYL oder auch andere sozial und gemeinnützig tätigen Vereine , die klein angefangen haben, heute viele Menschen angestellt haben um ihre Arbeit zu bewältigen, anders geht das gar nicht mehr. Und deshalb sollte man - wenn es finanziell möglich ist- Menschen für ihre Arbeit in den Vereinen bezahlen. Ich meine damit, dass man vielleicht erst mal mit einer bezahlten Stelle anfängt, wenn es der Verein tragen kann und das nach finanzieller Lage des Vereines erhöht. Denn es nutzt ja auch nichts wenn ein NGO etc zu viele Leute einstellt , wenn dann wieder einige entlassen werden müssen, weil die Lage schlechter wird.

Benutzerbild von Vegbudsd
vegan2.997 Postsmännlich35708 HaigerLevel 3
18.08.2022
Ehrenamt geht aber nicht nur im Verein: Viele Menschen engagieren sich Tag für Tag gz privat und ohne Organisation für zum Beispiel Geflüchtete (Sprachkurse, Gänge zu Ämtern, Hilfe bei Formularen, Deutschsprechen, -lesen, -schreiben), in Tierheimen beim "Katzenbeschmusen", "Hundegassiführen". Dafür verlangen/bekommen diese Leute in der Regel ebenfalls kein Geld, auch wenn sie es manchmal sicher auch gut gebrauchen könnten.

Den Vorteil (auch den geldwerten) hat aber auch dabei die gesamte Gesellschaft, die ja durch verbesserte Integration der Geflüchteten bessere wirtschaftliche Nutzung von deren Fähigkeiten und Arbeitsleistungen profitieren kann.

Aber wie wollte man solche Einzelhilfen durch die ehrenamtlichen Helferinnen vergüten?

Benutzerbild von Sunjo
vegan3.060 PostsweiblichLinzLevel 4
18.08.2022
Zitat Vegbudsd:

Meine Hoffnung liegt da auf den "Erben", die erkennen, dass sie selbst ja keinerlei Beitrag zu dem von ihnen geerbten Vermögen geleistet haben, also zwar juristisch aber keineswegs ethisch/moralisch berechtigt sind, dieses Ererbte zu behalten. Diesen teilweise "+überreichen" Menschen klar zu machen, dass sie dieses Vermögen zumindest teilweise durchaus sinnvoll "anlegen" können, indem sie Ehrenamt finanzieren, damit auch dafür vernünftige Entlohnungen gezahlt werden können, wäre mein Ansatz.

Zitat Vegbudsd:

Jetzt ginge es noch um die Verteilung solcher Vermögen - und jetzt wird es natürlich wieder kompliziert. Soll das in einem demokratischen Prozess von gewählten Gremien geschehen, oder zieht man sich lieber als Vermögenserbe den Vorwurf der Einflussnahme mithilfe des Stiftungsvermögens zu.


Zu diesen beiden Punkten halte ich nichts von Freiwilligkeit. Reichtum muss angemessen besteuert und dann demokratisch (durch den Staat) verteilt werden.

Es gibt zwar bereits Superreiche, die fleißig in Stiftungen investieren, aber dabei handelt es sich meistens um Steuersparmodelle und die absolute Kontrolle, wofür das Geld verwendet wird, bleibt bei den Geldgebern. Und das muss dann nicht unbedingt das dringlichste oder wichtigste Thema betreffen.


Auch das Problem, dass vor allem die Superreichen, selbst wenn sie spenden oder stiften, danach immer noch so viel Geld haben, dass sie vor lauter Dummheit nichts Besseres zu tun haben, als es für maximale Umweltschädigung auszugeben (Weltraumtourismus nur als das extremste Beispiel), könnte man durch angemessene Besteuerung lösen. Dass sich Leistung dann nicht mehr lohnt, und niemand mehr bereit ist, in verantwortungsvollen Positionen zu arbeiten, halte ich für eine leere Drohung und neokapitalistischen Bullshit. Reich kann man dann immer noch werden, aber eben nicht mehr unmoralisch reich.

Mal interessant zu lesen:
Superreiche fordern höhere Steuern (verschiedene Initiativen): https://www.zdf.de/nachrichten/wirtschaft/vermoegen-steuer-millionaer-reichtum-oxfam-100.html
Demokratiegefährdung durch Philantrophie (weniger Steuereinnahmen für den Staat, mangelnde Transparenz und Kontrolle über die Verwendung): https://www.businessinsider.de/leben/superreiche-wohltaeter-spenden-bekenntnisse-der-milliardaere-um-gates-und-co-koennten-weniger-gut-fuer-beduerftige-sein-als-es-scheint/

Wenn man dem Staat keine Steuereinnahmen mehr durch intransparente Steuersparmodelle oder Unterstützung fragwürdiger Institutionen vorenthält (für mich fällt darunter auch die steuerliche Absetzbarkeit der Kirchensteuer), bleibt auch mehr Geld für die Förderung/Vergütung ehrenamtlichen Engagements bzw. bezahlter gemeinnütziger Arbeit.


1x bearbeitet

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Unbekannt
18.08.2022
Zitat Sunjo:

Reichtum muss angemessen besteuert und dann demokratisch (durch den Staat) verteilt werden.


Ahm, finde, das ist dann Auslegungssache, was angemessen ist und was nicht. Es soll ja auch nicht jeder Anreiz für Innovation, Ehrgeiz und Leistung weggenommen werden(?).

3x bearbeitet

Benutzerbild von Sunjo
vegan3.060 PostsweiblichLinzLevel 4
18.08.2022
@Franz: klar. Ich denke, das wird aus meinem Beitrag auch deutlich.
Zitat Sunjo:
Reich kann man dann immer noch werden, aber eben nicht mehr unmoralisch reich.

1x bearbeitet

Benutzerbild von kilian
Themen-Startervegan7.663 PostsmännlichBerlinLevel 4Team
19.08.2022
Ich finde spannend, wie schnell wir vom Thema "nicht nur ehrenamtlich zählt" bei "superreich" gelandet sind. :D

Psychologinnen und Psychologen haben herausgefunden, dass Bezahlung eine Motivations-Bremse sein kann, weil der Fokus dann plötzlich auf dem Geld liegt und nicht mehr auf dem höheren Ziel.
Ehrenamt ist eine gute Sache, solange die eigenen Bedürfnisse ansonsten erfüllt sind und es nicht zur Aufopferung wird.

Was den Reichtum betrifft: Das wurde ja alles schon lang und breit untersucht. Zu Reichtum gehört ne Riesenportion Zufall dazu. Auch wenn wir kulturell dazu neigen, zufällige Erfolge unseren Fähigkeiten (Fleiß / Cleverness usw.) zuzuschreiben.

Extremer Reichtum und Macht sind sehr oft das Resultat von Dynastie-Angehörigkeit und/oder Charakterschwäche (= Schamlosigkeit). Die Story vom Fleiß und Cleverness wird den Tatsachen nicht gerecht. Selbst in Demokratien ist das oft so, dass geerbte Macht zementiert wird (Clinton-Dynastie, Bush-Dynastie, Trump-Dynastie, ...)

Spannendes Buch: "Im Grunde gut".

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Unbekannt
19.08.2022
Zum zweiten Absatz. Da hat u.a. Sozialpsychologe Dan Ariely in einen seinen wunderbaren, interessanten und unterhaltsamen Büchern ein Kapitel geschrieben.

Der Schweizer Autor Rolf Dobelli hat wieder geschrieben. wenn wo helfen, dann ist es am effektivsten, Geld zu spenden, anstatt wo helfen, was man eh nicht recht gut kann oder zb. damit in anderen Ländern zb jemanden Jobs wegzunehmen.

1x bearbeitet

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