Wie macht man einen Veganer?
Ich habe kein Patentrezept, das nur vorab. Aber zumindest habe ich ein paar erste Erkenntnisse gesammelt:
Nicht vergessen, wo man herkommt.
Die meisten Veganer haben zuvor Tierprodukte gegessen. Und das, obwohl sie keine bösartigen Monster waren, denen das Leid der Tiere völlig egal ist. Sie aßen Fleisch, weil sie das so gelernt haben, weil ihr Umfeld es so gemacht hat usw.
Wenn wir ignorieren, dass wir ebenfalls Tierprodukte gegessen haben (und welche Hürden wir auf dem Weg zur veganen Ernährung selbst überwinden mussten, wie peinlich wir uns teilweise angestellt haben), dann verdrängen wir die Realität und färben unsere Vergangenheit künstlich schön. Gut fürs Ego ("aufrechter Tierfreund"), aber meistens verlogen.
Eine typische Folge dieser Verfälschung ist, dass wir Fleischesser als ignorante Monster sehen, die sie aber (meistens) nicht sind. Das führt zu Verhärtungen und Konfrontationen, weil wir Fleischesser aus Frust unfreundlich behandeln und auf Distanz gehen.
Wenn wir wollen, dass mehr Menschen vegan leben, dann müssen wir daran denken, wie wir selbst angefangen haben und auch, warum wir vielleicht gezögert haben. Ziemlich ähnlich fühlen sich heutige Vegan-Umsteiger nämlich auch.
Und das gilt auch für die Sprache. In Teilen der veganen Szene gibt es bestimmte Sprach-Codes, die man außerhalb der Szene nicht versteht.
Nicht die Macht der Verdrängung unterschätzen.
Verdrängung ist mächtig und wohl alle Menschen verdrängen. Wir merken es bloß nicht, denn dann wäre es ja keine Verdrängung.
Verdrängung wird einem bewusst, wenn sie aufhört... das äußert sich bei Vegan-Umsteigern typischerweise darin, dass sie das Gefühl haben, von den neuen Informationen schier erschlagen zu werden... Wie konnte ich das vorher nicht wissen!?
Veganer und Fleischesser haben ein ähnliches moralisches Mindset.
Die meisten Menschen finden Tierquälerei fürchterlich und haben zugleich Angst vor sozialem Ausschluss. Zwei Dinge, die ohne Verdrängung schwer in Einklang zu bringen sind.
Fleischesser befinden sich in einem Zwiespalt:
Entweder sie machen sich die Gewalt hinter Tierprodukten bewusst, und sehen dann (völlig erschüttert) ein, dass ihre bisherige Lebensweise überhaupt nicht zu ihren moralischen Werten passt... mit dem Risiko, dann auch noch als "extrem" und "radikal" ausgegrenzt zu werden...
Oder, sie verdrängen die Gewalt der Fleischproduktion und überhöhen ihre soziale Zugehörigkeit, indem sie selbst anfangen, Veganer abzuwerten und Sprüche zu klopfen. Meistens siegt die Angst vor dem sozialen Ausschluss... mit den bekannten Folgen => Fleischverzehr = Gruppenzwang / Konformismus.
Zurückhaltend bleiben - eigenes Ego im Blick behalten- Ich-Perspektive
Menschen hassen es, wenn andere sich über sie stellen und sie belehren.
Das Problem dabei ist, dass man als Veganer einerseits Informationen präzise widergeben möchte, aber zugleich nicht aufdringlich sein möchte, um Besserwisser-Klischees zu vermeiden ("laber mich nicht tot").
Keine leichte Aufgabe, merke ich immer wieder. Fängt schon damit an, möglichst auf direkte Ansprachen und auch auf wertende Adjektive verzichtet. Es reicht, wenn "Tiere im Schlachthof sterben". Das muss nicht "grausam", "qualvoll" und "angsterfüllt" sein. Niemand soll denken, dass ihm vorgeschrieben würde, was er zu fühlen hat.
Wenn Emotionen ins Spiel kommen, dann lieber "Ich fühle mich oft verzweifelt, wenn ich sehe, wie grob Menschen mit Tieren umgehen" statt einer verkünstelten Verallgemeinerung: "Aufrechte Tierfreunde leiden angesichts des Tierleids".
Argumente werden überbewertet.
Die wichtigste Hürde auf dem Weg zur veganen Ernährung ist die Angst vor sozialem Ausschluss. Einzelgänger hatten es früher leichter, vegan zu werden, weil sie weniger unter sozialen Druck standen. Je mehr Veganer es gibt und je stärker sie öffentlich wahrgenommen werden, desto deutlicher wird, dass es eine adäquate Lebensweise ist und nicht zum sozialen Ausschluss führen muss. Und umso leichter wird es, die unbewusste Verdrängung aufzugeben.
Menschen in Städten haben es leichter, vegan zu werden. Für Menschen auf dem Land sind Online-Foren dagegen hilfreicher.
Es ist aber ein verbreiteter Irrtum, dass mehr Argumente grundsätzlich mehr bewirken würden. Argumentation wird massiv überschätzt.
Wer möchte, dass mehr Menschen vegan leben, muss ihnen zeigen, dass sie damit nicht allein sind, dass sie sozialen Rückhalt bekommen und vielleicht sogar davon profitieren.
Welche Erkenntnisse habt ihr gemacht?