Ich würde es ehrlich gesagt nicht sinnvoll finden, das „vegetarisch“ Label abzuschaffen. Warum sollte man?
Ja, vegetarisch ist nicht
leidvermindernd wie vegane Ernährung. Aber sehr viele Leute (ich auch) steigen über eine vegetarische Ernährung in den Veganismus ein. Und wenn es so leichter fällt, warum sollte man dann noch mehr Stolpersteine in den Weg legen?
Wer vegan leben will, der wird das dann auch tun und eventuell durch Werbekampagnen und Aufklärung positiv hin in Richtung Veganismus beeinflusst werden.
Dagegen bezweifle ich sehr, dass allein das Vorhandensein von „vegetarisch“ Siegeln jemanden „vom Veganismus wegtreibt“.
Es ist nunmal eine Tatsache, dass Veganer in Deutschland noch deutlich in der Minderheit sind. 3,2% der Bevölkerung hier in Deutschland leben vegan, in Nachbarländern sind es weniger (Stand 2020).
Unsere Gesellschaft ist auf Fleischkonsum geprägt, Weißwurscht, Schnitzel, Bratwürstle, Braten, Kassler… sehr sehr viele traditionell deutsche Gerichte enthalten vor allem eines: Fleisch.
Meiner Meinung nach ist es durchaus ein Fortschritt, wenn Menschen sich vom Fleischkonsum abwenden. Es gibt immer mehr Flexitarier und Vegetarier und auch Veganer und die Zahlen steigen. Wer als Flexitarier beginnt wird oft Vege/oder Pescetarier, dann vielleicht Ovo-Vegetarier und schließlich ganz vegan.
Manche entwickeln sich auch nicht weiter, klar, das will ich auch nicht leugnen.
Aber meiner Meinung nach ist jeder Schritt
weg von Tierprodukten ein guter Schritt.
Veränderungen geschehen nunmal nicht von Null auf hundert, das zu erwarten wäre mMn utopisch. Stattdessen geschehen sie schleichend. Ziemlich jedes Restaurant bietet inzwischen vegetarische Speisen (nicht nur Pommes und Salat) an und es finden sich allmählich auch vegane Optionen.
In Deutschland gibt es wohl in jedem Supermarkt inzwischen eine Veggie-Ecke und in der Werbung sehe ich ständig vegane Produkte.
Für mich ist das ein Erfolg. Mehr Menschen werden vegan, Menschen, die davor wahrscheinlich schon vegetarisch waren.
Natürlich ist es möglich, von jetzt auf gleich völlig vegan zu werden, es ist
in dieser Gesellschaft aber deutlich leichter, vegetarisch zu beginnen und vegan zu werden.
Ich jedenfalls musste mir im Laufe der Zeit oft anhören „bist du jetzt völlig deppert?!“ (dumm), „jetzt reichst aber auch mal!“, „spinnst du jetzt völlig?“, „was ist denn an Eiern nicht okay, die kommen doch von dem guten Bauern hier bei uns im Ort, warum isst du die jetzt nicht?!“ und so vieles mehr.
Wenn ich von einem Tag auf den anderen gesagt hätte, ich werde jetzt vegan, wäre vielleicht alles gut gegangen - vielleicht hätte man auch aber auch komplett geweigert mich zu unterstützen und es wäre von allen Seiten ständig nur Gegenwehr gekommen, denn ich hörte auch oft, wie „extrem“ Veganer denn seien etc. pp. Ich selbst hatte anfangs auch nicht die beste Einstellung gegenüber Veganismus.
Aber: ich habe mich geändert. Im Laufe der Zeit fand ich, angefangen beim Vegetarismus, heraus, wie es Tieren in anderen Teilen der Tierhaltung geht. Und da wurde klar: Vegetarisch ist nicht genug.
Ein Sofortwechsel wurde von meinem Umfeld aber schwer gemacht und ja, ich kann es verstehen, wenn man sich einfach nicht traut, zu tun, was man für richtig hält, weil man Angst vor der Reaktion darauf hat.
Ich bin überzeugt, dass die Zahl der Veganer im Laufe der Jahre weiter steigen wird und nicht durch die Vegetarier „gebremst“, sondern gefördert wird.
Wenn man einmal begonnen hat, die Augen für die Geschehnisse hinter den Kulissen unseres Systems zu öffnen, dann kann man sie auch noch weiter aufmachen.
Und ja, ich bin nicht dafür, bei einer vegetarischen Ernährung zu stoppen und zu denken „so, jetzt mach ich doch genug für die Tiere“. Aber eine vegetarische Ernährung ist besser als eine omnivore Ernährung und wenn man anfangs (nicht dauerhaft!) nicht mehr schafft, dann ist sie zunächst in Ordnung, um allmählich einen Weg zu finden, aus dem System der Tierausbeutung auszusteigen, welches seit Jahrzehnten unser westliche Welt dominiert.
Und dieser Ausstieg halt schon begonnen, es wird aber leider noch eine ganze Weile dauern, bis das System endgültig besiegt sein wird, weil es sich so sehr in die Köpfe der Leute gefressen hat.
Daher kann ich nicht verstehen, warum der Ausstieg aus einer omnivoren Ernährung noch erschwert werden soll, indem man Produkte ohne Fleisch/Gelatine/Kälberlab nicht mehr kennzeichnet.
Quelle Zahlen:
https://veganz.de/blog/veganz-ernaehrungsstudie-2020/